Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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und der Verwaltung – aber demokratietheoretisch wohl nicht so, dass die Mehrheitspartei(en)<br />
mit parlamentarischen Beschlüssen die Rechte des Volkssouveräns<br />
weiter einschränken und einer verdinglichten Auffassung vom Parlament und den<br />
Parteien Vorschub leisten, sondern umgekehrt, dass die Parteien und das Parlament<br />
selbst auf den Prüfstand gestellt werden, ob sie demokratisch handeln und<br />
überhaupt demokratisch handlungsfähig sind.<br />
Bedeutungsverluste der Parteien und des Parlaments als den zentralen Einrichtungen<br />
demokratischer Willensbildung ergeben sich auch im Kräfteverhältnis mit<br />
Bundesrat und Ländern. Vielfach war es möglich, durch entsprechende Mehrheitsverhältnisse<br />
oder Koalitionen in der Länderkammer Gesetzesvorhaben der<br />
Bundesregierung und des Parlaments zu blockieren oder zu bremsen und Kompromisse<br />
zu erzwingen. Mittlerweile ist es zu einer Entzerrung der Kompetenzen<br />
und teilweise zu einer Schwächung des nationalen Gesetzgebers zugunsten partikularer<br />
Interessenlagen gekommen.<br />
Bedeutsam ist, dass politische Entscheidungen vielfach nur noch in einem quer<br />
zu den Parteien und den formalen Prozeduren verlaufenden Netz zustande kommen,<br />
dem vier Einrichtungen angehören: Regierung (oder einzelne Apparate),<br />
Bundestag (oder besser: einzelne Abgeordnetengruppen), Bundesrat und schließlich<br />
Bundesverfassungsgericht. Letzteres hat weit über die Normenkontrolle hinausgehend<br />
selbst die Funktion einer weiteren politischen Partei übernommen. Mit dem<br />
Rückgriff auf die dem BVG vorbehaltene Hermeneutik der freiheitlich-demokratischen<br />
Grundordnung nimmt es für sich die Rolle eines über der Verfassung stehenden<br />
Verfassungsinterpreten in Anspruch. »Indem das Bundesverfassungsgericht<br />
die Grundrechte der Verfassung zu einer ›objektiven Wertordnung‹ transformiert,<br />
deren Bestandteile es untereinander und mit zu ›Rechtsgütern‹ entgrenzten einfachen<br />
Gesetzen je nach den Umständen des Einzelfalles zur ›Abwägung‹ bringt,<br />
gewinnt es einerseits eine hohe Autonomie nicht nur gegenüber verfassungsrechtlichen<br />
Einzelbestimmungen, sondern auch im Verhältnis zur selbstgeschaffenen<br />
Wertordnung. Die Entgrenzung der Normbereiche von Einzelgrundrechten und<br />
Gesetzen durch deren Verwandlung in Werte und Rechtsgüter erlaubt es dem<br />
höchsten Gericht, ihre Grenzen und Inhalte jeweils situativ zu bestimmen.« 9<br />
Der demokratische Alltag ist von einer Vielzahl von nicht-demokratischen<br />
Mustern durchzogen. Dazu zählt die ungerechte Besteuerung zu Lasten kleiner<br />
Einkommen, die ungerechte Steuererfassung und Durchsetzung der Steuerpflichtigkeit,<br />
von der vor allem Freiberufliche und Selbständige in Milliardenhöhe profitieren,<br />
die ungerechte öffentliche Ausgabenpolitik sowie die häufige Verschwendung<br />
öffentlicher Mittel. Mit dem Abbau der öffentlichen Verwaltung kommt es<br />
zwangsläufig zu Vollzugsdefiziten, die den demokratischen Kreislauf von Willensbildung,<br />
Gesetzgebung und Ausführung zerstören: Umweltschutzmaßnahmen<br />
werden nicht umgesetzt, Finanzämter können gerade bei Freiberuflern und Unter-<br />
9 Ingeborg Maus: Rechtstheorie und Politische Theorie im Industriekapitalismus. München 1986, S. 287.<br />
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