Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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lich meine Handlungen, Denkweisen, Empfindungen und die anderer an meinen<br />
bzw. irgendwelchen gesellschaftlichen Rationalitätsmaßstäben messen und bewerten;<br />
dies ist aber etwas anderes, als (mir) die jeweiligen Beweggründe verständlich<br />
zu machen (die ich allerdings wiederum zu externen Rationalitätsmaßstäben<br />
ins Verhältnis setzen kann).<br />
Zurück zum Problem der Psychologisierung, das ich an den Terrorismusbeispielen<br />
einführte. Psychologisierung ist eine allgemeine Denkweise mit zwei Varianten,<br />
man könnte auch sagen, eine bürgerliche Medaille mit zwei Seiten, die ich zunächst<br />
erläutern möchte, um dann zu zeigen, wie diese mächtige Denkform im neoliberalen<br />
Verantwortungsdiskurs so auf den praktischen Begriff kommt, dass selbst mancher<br />
Psychologiekritik bzw. kritischen Psychologie der Kopf verdreht wird.<br />
Als Motto der allgemeinen Denkweise der Psychologisierung kann die Mitteilung<br />
der Mutter allen Neoliberalismus, Margret Thatchers gelten, sie kenne nur<br />
Individuen und Familien, aber keine Gesellschaft. Alles, was als Gesellschaft imponieren<br />
kann, löst sich danach in das Handeln der vielen Individuen auf. Jede(r)<br />
handelt für sich selber und ist für sich verantwortlich. Das moralische Credo lautet:<br />
Wenn jede(r) an sich denkt, ist an alle gedacht.<br />
Thatcher war mit ihrer Auffassung durchaus auf der Höhe einer Psychologie,<br />
die mein akademischer Lehrer, Klaus Holzkamp, folgendermaßen beschrieb: »Es<br />
ist charakteristisch für die bestehende Psychologie, dass sie das Einzelindividuum<br />
unbefragt als das »Konkrete« bestimmt und demgegenüber Konzeptionen wie<br />
»Gesellschaft« als Resultat generalisierender Abstraktion ansieht, die an den Verhaltensweisen<br />
»konkreter« Einzelindividuen ansetzt, so dass »Gesellschaft« als<br />
etwas bloß Gedachtes erscheint, das im Verhalten von Einzelindividuen seine einzige<br />
Grundlage hat.« 11<br />
Im Anschluss an Marx nannte Holzkamp dies eine Verkehrung von Konkretheit<br />
und Abstraktheit, die von den gesellschaftlichen Vermittlungen individuellen Handelns<br />
absieht (abstrahiert). Was konkret erscheint, ist in Wirklichkeit abstrakt oder<br />
mit einem Wort von Karel Kosík 12 – »pseudokonkret« und bspw. Grundzug einer<br />
individuumsbesessenen und gesellschaftsvergessenen Diagnostik.<br />
bahn vorbeirattert. Auch ein erneuter Aufbau übersteht das Vorberattern der Straßenbahn nicht. Ein freundlicher<br />
IKEA-Mitarbeiter lässt sich erweichen, selber den Aufbau vorzunehmen. Als er damit fertig ist, wird beschlossen,<br />
dass er die nächste Straßenbahn abwartet – und zwar (mit Taschenlampe) im Schrank, damit er einen potenziellen<br />
Zusammenbruch des Schrankes von innen verfolgen kann. Während nun die Frau dem freundlichen<br />
IKEA-Mitarbeiter ein Bier holt, passiert, was in solchen Geschichten immer passiert: Der Ehemann der Frau<br />
kommt – zu diesem Zeitpunkt jedenfalls – überraschend nach Hause. Im Schlafzimmer sieht er den <strong>neue</strong>n<br />
Schrank und öffnet ihn: »Was machen Sie denn hier?«, fragt er fassungslos den Fremden im Schrank. »Ich warte<br />
auf die Straßenbahn.«<br />
Die (wissenschaftliche) Moral der Geschichte: Die Antwort des Fremden – »Ich warte auf die Straßenbahn« – ist<br />
nur für den »irrational«, der die Prämissen des Fremden nicht aufgeschlüsselt hat, bzw. das nicht kann oder nicht<br />
will. »Irrationalität« ist also nicht das positive Resultat einer Analyse, sondern deren Abbruch bzw. das Eingeständnis,<br />
sie nicht zu Ende führen zu können.<br />
11 Klaus Holzkamp: Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch-emanzipatorischer Psychologie. A. a. O.,<br />
S. 101.<br />
12 Karel Kosík: Die Dialektik des Konkreten. Frankfurt/M. 1967.<br />
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