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Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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sidenten Woodrow Wilson geworden, der nach dem Ersten Weltkrieg für den Aufbau<br />

eines Systems kollektiv beherrschter Protektorate aus den kolonialen Überresten<br />

der deutschen und türkischen Reiche plädierte. Allerdings: Hier geht es um<br />

einen »Wilsonianismus in Stiefeln« (Pierre Hassner), dessen Vertreter sich deshalb<br />

zuweilen selbst als »hard Wilsonians« bezeichnen. 152<br />

Dieser erstaunlich expansive begriffspolitische Diskurs um das Empire ist nicht<br />

nur ein dramatischer Bruch gegenüber jener linksliberalen und -sozialdemokratischen<br />

Diagnose und Prognose vor allem aus den späten 80er Jahren, demzufolge<br />

wir es mit einem »America in Decline« zu tun hätten, das wie andere Reiche vor<br />

ihm unter der Last der militärischen Überdehnung und Belastung seine Position<br />

sukzessiv an andere <strong>neue</strong> Akteure (Japan, Europa) abtreten müsse. Die damalige<br />

Debatte prononcierte die Schwäche, die heutige Empire-Debatte akzentuiert überwiegend<br />

die Stärke der USA. Die 2001/2 geradezu explodierende Rede vom »Empire«<br />

ist mehr noch für die gesamte amerikanische Geschichte der politischen<br />

Rhetorik, Ideologie und Selbstbeschreibung durchaus ungewöhnlich – wenn auch<br />

nicht völlig neu, denn Debatten über die USA als »Empire« gab es mehrfach.<br />

Sie konnte dabei natürlich von einem Alltagsverständnis von »Empire« zehren,<br />

das dieses oftmals so weitläufig fasste wie gegenwärtig Niall Ferguson als einem<br />

der Hauptverfechter der normativen Idee eines American Empire: er entwickelte<br />

eine »imperial typology«, unter die er ein so breites Feld von Merkmalen subsumierte,<br />

dass es äußerst schwierig wird, einer politischen Ordnung keinen imperialen<br />

Charakter zuzuordnen: Ein Imperium kann für ihn einer herrschenden Elite<br />

nutzen oder »allen Einwohnern«; es kann völkermörderisch oder assimilativ operieren;<br />

seine Ökonomie reicht von der Sklaverei und Plantagenwirtschaft bis hin<br />

zur Planwirtschaft; die Herrschaftsmethoden gehen von militärischer Gewalt bis<br />

zur Unternehmensregulierung; die Leistungen des Empire reichen vom Frieden<br />

bis zur Gesundheit; die Ziele spannen sich von Sicherheit bis zur Aneignung von<br />

Arbeitskräften und das politische System reicht von der Tyrannei bis zur <strong>Demokratie</strong>.<br />

Unter derlei Allerweltsbestimmungen fällt geradezu jedes Regime, das historisch<br />

sich »Reich« oder »Imperium« nannte oder das der Betrachter in seine<br />

imperiale Typologie vereinnahmen möchte. Folgerichtig zählt Ferguson mehr als<br />

70 Imperien in der Geschichte – genauer: Der Times Atlas of World History hat<br />

sie gezählt. Es bedarf keiner methodischen oder theoretischen, sondern bloß einer<br />

politischen Anstrengung, die USA sodann unter die weitläufige Rubrik »Empire«<br />

152 Max Boot: Neocons. In: Foreign Policy 1/2004, S.20. Wo dann schon mal Opfer gebracht werden müssen: Der<br />

Neokonservative Richard Perle plädierte für einen unilateralen Schlag gegen Nordkorea auch auf die Gefahr hin,<br />

dass dabei die über zehn Millionen Einwohner von Seoul über die Klinge springen müssten, siehe David Frum;<br />

Richard Perle: An End to Evil: How to Win the War on Terror, New York 2004, S.99 f. Bedacht werden sollte<br />

im Falle Wilsons allerdings auch, dass dieser Champion der Selbstbestimmung in seiner Amtszeit bei fast zehn<br />

Gelegenheiten militärische Einsätze gegen den Süden sanktionierte.<br />

153 Niall Ferguson: The Unconscious Colossus: Limits of (& Alternatives to) American empire. In: Daedalus<br />

2/2005. »Empires. In short, are always with us.«<br />

197

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