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Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Morus Markard<br />

»Wir alle« – Universalisierung von Verantwortung<br />

als kollektive Indienstnahme<br />

In einem Artikel über Verhandlungen zur Freilassung inhaftierter RAF-Mitglieder<br />

analysierte Peter Tzscheetzsch 1995 im »Forum Kritische Psychologie«, wie der<br />

politische Charakter der RAF bzw. die politischen Motive ihrer Mitglieder gegen<br />

deren Willen durch dafür bemühte psychiatrische Gutachten zugunsten einer pathologisierenden<br />

Klassifizierung eskamotiert werden sollten. 1 Wie im direkten<br />

Gegensatz dazu wehrt sich Inge Vieth, eine Zeitlang von der DDR gedecktes und<br />

verstecktes und dann nach deren Befreiung zum Kapitalismus verhaftetes und zu<br />

mehreren Jahren Haft verurteiltes Mitglied der »Bewegung 2. Juni« in ihrer Autobiografie<br />

gegen die psychologisierende Enteignung ihrer politischen Motive: Nicht<br />

Momente wie Vernachlässigung durch die Mutter und Heimerziehung hätten sie<br />

zum »2. Juni geführt«, sondern »die soziale Kälte einer herzlosen Kriegsgeneration,<br />

die ihre beispiellosen Verbrechen leugnete oder verdrängte, die unfähig war, uns<br />

anderes als Besitzdenken und Anpassung zu lehren, die den Vietnamkrieg unterstützte,<br />

weil sie ohne Umschweife von der Vernichtungsstrategie gegen die ›Jüdische<br />

Weltverschwörung‹ zur Vernichtungsstrategie gegen die ›Bolschewistische<br />

Weltverschwörung‹ übergegangen war«; weitere Stichpunkte sind: »Konsum-Klimbim«,<br />

»Talmi-Moral«, »Elite-Gesellschaft, die aus Eigennutz, Profit und Machtgelüsten<br />

oder aus traditioneller Beschränktheit letztendlich immer nur Zerstörung<br />

auf breiter Bahn zustande bringt«, etc. 2 Mir kommt es hierbei weder auf analytische<br />

Einzelheiten noch auf strategische Debatten an, sondern nur darauf, dass Inge<br />

Vieth ihre Motive politisch versteht und sie als politische gegen Psychologisierungen<br />

verteidigt.<br />

Wenn man sich – etwas aktueller – Analysen des islamistisch inspirierten Terrorismus<br />

ansieht 3 , zeigt sich wieder – zwischen der Einschätzung des Terrorismus<br />

als politischer Strategie oder psychischem Wahn – eine gewisse Tendenz zur Privilegierung<br />

pathologisierender Deutung. Der Psychoanalytiker Bohleber bspw.<br />

versucht sich zunächst noch in einer mentalitätsorientierten Deutung, die aber in<br />

fünf angeblichen anthropologischen Konstanten (psychosexuelle Entwicklung,<br />

Geschwisterrivalität, Mutterbeziehung, Urszene und Ödipuskomplex 4 ) versandet<br />

1 Peter Tzscheetzsch: Psychologisierung politischen Widerstands. Forum Kritische Psychologie 35. Berlin 1995,<br />

S. 134; vgl. auch den »Spiegel« Nr. 43/1994, S. 86 ff.<br />

2 Inge Viett: Nie war ich furchtloser. Autobiographie. Hamburg 1996, S. 18.<br />

3 Ilka Raddatz: »Strategie oder Psychologie? Der Beitrag psychologischer Theorien zur Analyse des Terrorismus«.<br />

Unveröffentlichte Diplomarbeit am Studiengang Psychologie der FU Berlin 2004.<br />

4 Werner Bohleber, (2002): Kollektive Phantasmen, Destruktivität und Terrorismus. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse<br />

und ihre Anwendungen 2002, S. 708.<br />

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