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Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Kontextsteuerung beobachten. In Organisationen wie den nationalen und internationalen<br />

Regulierungsbehörden, dem WTO-Rat (»Council«) aber auch der Europäischen<br />

Kommission und der EZB sitzen Experten, die nur sehr mittelbar einer<br />

demokratischen Kontrolle unterliegen.<br />

Vollständig losgelöst von demokratischer Einflussnahme agieren zudem globale<br />

Rating-Agenturen wie »Moody’s Investors Service« und »Standard & Poor’s<br />

Ratings Group«. Dort ist eine ebenso spezifisches wie wirkmächtiges Wissen nahezu<br />

monopolisiert. Einzig dem Ziel der Einschätzung der Kreditwürdigkeit von<br />

privaten und öffentlichen Gläubigern verpflichtet, führen deren expertokratische<br />

Einstufungen zu einem erheblichen Anpassungsdruck an die Erwartungen der internationalen<br />

Finanzmärkte, um eine Abstufung und damit finanzielle Schwierigkeiten<br />

zu vermeiden. Das Resultat für die sogenannten sovereign borrowers, also<br />

Nationalstaaten, aber auch Länderregierungen wie Kommunen ist tendenziell »a<br />

lower supply of social security and other public goods«. 10<br />

Aus einer demokratietheoretischen Perspektive lassen sich diese Phänomene als<br />

ein Trend zur Enklavendemokratie beschreiben, einem Begriff, der der Transformationsforschung<br />

entstammt und diejenige Staaten bezeichnen soll, in denen zwar auf<br />

der einen Seite demokratische Institutionen wie Wahlen und konkurrierende Parteien<br />

existieren, auf der anderen Seite aber wesentliche Bereiche einer demokratischen<br />

Steuerung entzogen sind. »Wenn ›Vetomächte‹ wie Militär, Guerilla, Miliz, Unternehmer,<br />

Großgrundbesitzer oder multinationale Konzerne bestimmte Politikbereiche<br />

(reserved domains) oder Teile des Staatsterritoriums dem Zugriff der demokratisch<br />

gewählten Repräsentanten entziehen, entsteht ein eigenes Syndrom verzerrter<br />

Machtbildung, Machtausübung und Machtkontrolle.« 11 Das Konzept der Enklavendemokratie<br />

ist entwickelt worden, um defekte <strong>Demokratie</strong> von den etablierten demokratischen<br />

Regimen des Westens abzugrenzen. Entsprechend betonen die Autoren<br />

um Wolfgang Merkel auch, dass »reservierte Politikdomänen strikt abzugrenzen«<br />

sind »von solchen politischen Materien, die per konstitutionellen Konsens aus der<br />

Verfügungsgewalt einfacher demokratischer Mehrheitsentscheidungen herausgenommen<br />

werden«, wie Verfassungsgerichte und Zentralbanken. 12 Diese klare Trennung<br />

ist jedoch dann nicht überzeugend, wenn zum einen Redemokratisierung entsprechender<br />

Institutionen lediglich eine theoretische Möglichkeit darstellt – so ist<br />

etwa die Autonomie der Europäischen Zentralbank im Vertrag von Maastricht festgeschrieben<br />

und dabei im Vergleich zur Bundesbank sogar gestärkt worden 13 – und<br />

zum anderen werden immer mehr Entscheidungsmaterien privatisiert. 14<br />

10 Dieter Kerwer: Holding Global Regulators Accountable: The Case of Credit Rating Agencies. In: Governance 18,<br />

453-475. Vgl. auch Timothy J. Sinclair: The new masters of capital: American bond rating agencies and the politics<br />

of creditworthiness. Ithaca, N. Y., 2005.<br />

11 Wolfgang Merkel et. al.: Defekte <strong>Demokratie</strong>, Bd. 1: Theorie, Opladen, 2003, S. 71.<br />

12 Ebenda., S. 55.<br />

13 Vgl. Arne Heise, a. a. O.<br />

14 Vgl. Helmut Willke, a. a. O. und mit stärker kritischen Unterton Tanja Brühl et. al. (Hrsg.): Die Privatisierung<br />

der Weltpolitik. Entstaatlichung und Globalisierung im Globalisierungsprozess, Bonn 2001.<br />

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