Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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europäischen Kapitalismus verstanden und eine entsprechende »Akkumulationstheorie«<br />
des imperialistischen Zeitalters entwickelt.<br />
1915 schrieb <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong> dann in ihrer berühmten »Junius-Broschüre«:<br />
»Friedrich Engels sagt einmal: Die bürgerliche Gesellschaft steht vor einem Dilemma,<br />
entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückfall in die Barbarei. Was<br />
bedeutet ein ›Rückfall in die Barbarei‹ auf unserer Höhe der europäischen Zivilisation?<br />
Wir haben wohl alle die Worte bis jetzt gedankenlos gelesen und wiederholt,<br />
ohne ihren furchtbaren Ernst zu ahnen. Ein Blick um uns in diesem Augenblick<br />
zeigt, was ein Rückfall der bürgerlichen Gesellschaft in die Barbarei bedeutet.<br />
Dieser Weltkrieg – das ist ein Rückfall in die Barbarei. Der Triumph des Imperialismus<br />
führt zur Vernichtung der Kultur – sporadisch während der Dauer eines<br />
modernen Krieges und endgültig, wenn die nun begonnene Periode der Weltkriege<br />
ungehemmt bis zur letzten Konsequenz ihren Fortgang nehmen sollte. Wir stehen<br />
also heute, genau wie Friedrich Engels vor einem Menschenalter, vor vierzig Jahren,<br />
voraussagte, vor der Wahl: entweder Triumph des Imperialismus und Untergang<br />
jeglicher Kultur, wie im alten Rom, Entvölkerung, Verödung, Degeneration,<br />
ein großer Friedhof; oder Sieg des Sozialismus, d. h. der bewussten Kampfaktion<br />
des internationalen Proletariats gegen den Imperialismus und seine Methode: den<br />
Krieg.« 46<br />
Was aber, wenn der Sozialismus sich plötzlich selbst als untrennbar mit »Barbarei«<br />
verbunden erweisen sollte, wenn in ihm Unterdrückung Andersdenkender<br />
und Staatsterror zur Methode erhoben werden? Was, wenn Sozialismus zur Diktatur<br />
wird, die das geistige, politische und wirtschaftliche Leben dem Prinzip der<br />
Vorherrschaft einer Partei und ihrer Führung unterordnet? <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong> hatte<br />
nur die ersten Ansätze einer solchen Entwicklung zur Kenntnis nehmen müssen.<br />
Sie war nur die Zeitgenossin eines Weges, der dann unter Stalin – keinesfalls völlig<br />
zwangsläufig – zur Sklavenarbeit von Millionen in den GULAGs, zum Großen<br />
Terror der planmäßigen Menschenvernichtung nach quantitativen Vorgaben durch<br />
Schnellgerichte, zu Vertreibung und Völkermord führte. Aber schon gegenüber<br />
den ersten Elementen von totaler Herrschaft und Barbarei des leninistischen Parteikommunismus<br />
stand sie ablehnend gegenüber.<br />
Sozialistische <strong>Demokratie</strong> leitete <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong> nicht aus von oben verordneten<br />
Klasseninteressen ab, sondern aus dem »aktive(n), ungehemmte(n), energische(n)<br />
politische(n) Leben der breitesten Volksmasse« 47 . Der Propagierung und<br />
umfassendsten Verwendung von Mittel des Terrors im politischen Kampf, ganz im<br />
Geist der Jakobiner, stellt sie die Forderung der Abschaffung der Todesstrafe gegenüber,<br />
denn: »Blut ist in den vier Jahren des imperialistischen Völkermordes in<br />
Strömen ... geflossen. Jetzt muss jeder Tropfen des kostbaren Saftes mit Ehrfurcht<br />
in kristallenen Schalen gehütet werden. Rücksichtsloseste revolutionäre Tatkraft<br />
46 <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong>: Die Krise der Sozialdemokratie (Junius-Broschüre). Werke, Bd. 4, S. 62.<br />
47 <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong>: Zur russischen Revolution. Berlin: Karl Dietz Verlag 1974. Werke, Bd. 4, S. 356.<br />
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