Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Vorwort<br />
Während jene, die den Zweiten Weltkrieg überlebten, sich – in aller Unterschiedlichkeit,<br />
ja Gegensätzlichkeit – im »Nie wieder!« einig waren, sehen wir, ihre Nachgeborenen,<br />
Zeichen, dass diese Selbstverständlichkeit der Vergangenheit angehören<br />
könnte. Und unsere Kinder wiederum und deren Kinder werden nicht einmal mehr<br />
wissen, dass es jemals eine derartige Selbstverständlichkeit gab.<br />
Auschwitz ist zu Geschichte geworden – ein unerhörter Vorgang. Politiker, die<br />
sich jenseits der Gedenkrituale noch auf den europäischen Judenmord, auf den<br />
Dreißigjährigen Krieg in Europa zwischen 1914 und 1945 beziehen, tun dies, um<br />
ein Handeln zu begründen, was in keinerlei Zusammenhang mit den geschichtlichen<br />
Ereignissen steht. Mal dient Slobodan Milosevic, mal Saddam Hussein, mal Mahmud<br />
Ahmadinedschad als Hitler der Gegenwart. Die Abwehr der Barbarei als Begründung<br />
für Barbarei war und ist der gängige Casus belli des 20. wie offensichtlich<br />
des 21. Jahrhunderts.<br />
Gerade der völlig beliebige und instrumentelle Umgang mit den Zivilisationsbrüchen<br />
des 20. Jahrhunderts signalisiert, wie oberflächlich das Bewusstsein um die<br />
wirklichen Gefahren der Rückschritte in die Barbarei geworden ist. Dabei ist die<br />
Barbarei seit Jahrtausenden der unheilvolle Schatten des Fortschritts wie der Reaktion.<br />
Die Befreiung von der geistigen Knechtschaft der Papstkirche öffnete das Tor<br />
für den Dreißigjährigen Krieges im 17. Jahrhundert. Die Französische Revolution<br />
setzte die Gewalt eines großen europäischen Krieges frei. Die Russische Revolution<br />
von 1917 mündete in einen Bürgerkrieg, der gleichfalls ein zehnmillionenfaches<br />
Leichenfeld zurückließ. Auf den Bauernaufstand folgte das Bauernmorden, auf das<br />
Freidenken das Verbrennen, auf den Kampf um soziale Grundrechte die brutale Diktatur.<br />
Der globale Sklavenhandel, der organisierte Völkermord und die Nuklearwaffen<br />
sind die Kehrseiten einer Moderne, die dem Profit, der Gewalt, der technischen<br />
Machbarkeit keine Fesseln aufzuerlegen vermochte. Unendlich teuer wurde<br />
die mühseligen Fortschritte bei der Bändigung dieser Gewalten bezahlt, unglaublich<br />
leichtfertig werden sie heute zur Disposition gestellt.<br />
Das vorliegende Buch schreibt an gegen das Wegsehen im Anblick der Freisetzung<br />
von Elementen der totalen Herrschaft und Barbarei, gegen den verbrecherischen<br />
Übermut derer, die glauben, die Kollateralschäden ihrer aggressiven Strategien<br />
beherrschen zu können, gegen den Leichtsinn, mit der die alltägliche Aufgabe<br />
der Zivilisierung unserer Gesellschaften anderen wichtigeren Zielen im »globalen<br />
Wettbewerb« und der »Standortkonkurrenz« geopfert wird. Die Autoren machen<br />
deutlich, dass der Kampf gegen die Barbarei immer der wichtigste Kampf ist – auch<br />
in der Hoffnung, dass aus ihm der Kampf für eine menschliche, eine wahrhaft demokratische,<br />
humane, naturerhaltende, eine sozialistische Gesellschaft wird.<br />
Michael Brie<br />
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