Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung
Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung
Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Der neoliberalen kollektiven Indienstnahme durch einen universal aufgeblähten<br />
Verantwortungsbegriff, der psychologisierendem Denken eine aktuelle Note<br />
verleiht, durch dieses sich gesellschaftstheoretisch gebärden kann, ist m. E. auf<br />
gleichem Felde kaum zu begegnen, sondern nur so, dass der Verantwortungsbegriff<br />
»hinterfragt« wird: Wenn ich für etwas die Verantwortung übernehmen soll,<br />
muss ich fragen, inwieweit das, was ich übernehmen soll, in meinem Interesse ist,<br />
eine Problem- oder Fragestellung, die der gleicht, mit der ich zu tun kriege, wenn<br />
ich »motiviert« werden soll, also wenn ich auch wollen soll, was ich (tun) soll.<br />
Hier hat Ute Osterkamp zur Kritischen Psychologie das Konzept des »inneren<br />
Zwangs« 30 beigetragen, das ich für meine Problemstellung für wesentlich halte.<br />
Ich kann gegen eine Anforderung Widerstand leisten oder ich kann zu ihrer Übernahme<br />
gezwungen werden.<br />
»Innerer Zwang« als die dritte Variante bedeutet, dass ich den Zwangscharakter<br />
so verinnerliche, dass ich zu wollen meine, was ich soll – mit der Implikation,<br />
dass diese Konstellation für mich widersprüchlich ist, weil ich gegenläufige Impulse<br />
abdrängen muss. Ein Beispiel dafür wären Leistungsentäußerungen in Konkurrenzsituationen,<br />
in denen ich in sozusagen Verfolgung meiner Leistungsziele<br />
gleichzeitig meine sozialen Beziehungen ruiniere, dies aber in seiner Bedeutung<br />
abwerte. (Die Fähigkeit zu einem so verselbständigten Willen ist übrigens nach<br />
Auffassung der Kritischen Psychologie der psychische Ermöglichungsgrund der<br />
Ausbeutbarkeit 31 .)<br />
ohnehin ins Endlose ausdehnt. Mit der Übernahme einer derartigen Verantwortung kann man sich aber nur übernehmen.<br />
Es passt zu dieser Entwicklung, wie in sozialer Arbeit der Begriff der »Ressourcen«, dessen ursprüngliche<br />
Intention darin bestand, Menschen, die Hilfe brauchen, nicht (nur) unter »Defizit«-Gesichtspunkten zu sehen,<br />
nunmehr so personalisiert wird, dass man sich gefälligst auf sich selber besinnen und Krisen auch dann als<br />
Chance wahrnehmen soll, wenn man keine hat. Hier wäre interessant, Begriffe wie »Empowerment«, »Gemeindeorientierung«,<br />
»Prävention«, »Gesundheitsverhalten« auf Funktionswandel und damit verbundene Zumutungen<br />
zu analysieren (vgl. Jochen Kalpein : Case Management: Methode zwischen Emanzipation und Affirmation?<br />
Unveröffentlichte Abschlussarbeit zum Weiterbildungsstudium Psychosoziale Arbeit »Studiengang Systemisches<br />
Casemanagment« 2005 an der Alice-Salomon-Fachschule Berlin; Morus Markard: »Für Jugendliche und mit Jugendlichen«<br />
oder: Zum Verhältnis von Willen und Wohl. Unveröffentlichtes Manuskript 2005).<br />
Bayertz hat Genese und Problematik des Verantwortungsbegriffs rekonstruiert (Kurt Bayertz: Eine kurze Geschichte<br />
der Herkunft der Verantwortung. In: Ders. (Hg.), Verantwortung. Prinzip oder Problem? Darmstadt<br />
1995, S. 3-71). Graumann hat, was die Psychologie angeht, darauf verwiesen, dass dort »Verantwortung« sozusagen<br />
in zwei Sparten existiert: »verantwortlich gemacht werden« in den Attributionstheorien, »verantwortlich<br />
sein oder sich fühlen« (oder auch eben nicht) in Theorien zu prosozialem Verhalten (Carl Friedrich Graumann:<br />
Verantwortung als soziales Konstrukt. In: Zeitschrift für Sozialpsychologie, 25, H.3/1994, S. 184-191). Ich kann<br />
dem hier nicht weiter nachgehen.<br />
Demirovic hat in seinem Aufsatz »Verantwortung und Handeln« verschiedene struktur- und handlungstheoretische<br />
und Argumentationslinien nachgezeichnet und damit verbundene Verantwortungszuschreibungen, diffusionen<br />
und -übernahmen diskutiert (Alex Demirovic: Verantwortung und Handeln. In: Frankfurter Arbeitskreis für<br />
politische Theorie & Philosophie (Hrsg.): Autonomie und Heteronomie der Politik. Politisches Denken zwischen<br />
Post-Marxismus und Poststrukturalismus. Bielefeld 2004, S. 143-169).<br />
30 Ute Osterkamp: Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung 2. Die Besonderheit menschlicher Bedürfnisse<br />
– Problematik und Erkenntnisgehalt der Psychoanalyse. Frankfurt/M. 1976, S. 342 ff.; Klaus Holzkamp:<br />
Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M. 1983, S. 412 ff.<br />
31 Klaus Holzkamp: Grundlegung der Psychologie. A. a. O., S. 323.<br />
33