Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Mit der Privatisierung öffentlichen Eigentums – also Post, Bahn, Wohnungen,<br />
Wasser, Energie, Müllentsorgung, Krankenhäusern, Bildung, Kommunikation,<br />
Öffentlichkeit von Medien und sozialen Räumen – kommt es nicht nur zu einer<br />
Verschlechterung der materiellen Lage für viele und Enteignung von Kollektiveigentum,<br />
das durch die Arbeit von Generationen aufgebaut wurde. De facto wird<br />
durch Privatisierung wenigen Privaten die Möglichkeit gegeben, in relevanten Bereichen<br />
Angebote nach Gewinnkalkülen zu restrukturieren. Damit werden sie den<br />
Gesichtspunkten der demokratischen Entscheidung entzogen. Dies ist eine von den<br />
Repräsentanten des Volkes verfügte Entdemokratisierung der Gesellschaft und widerspricht<br />
dem Grundgesetz, das in Art. 14 und 15 für das Eigentum Allgemeinwohlpflichtigkeit<br />
und zu diesem Zweck die Möglichkeit der Vergesellschaftung<br />
vorsieht. In Ländern, in denen angesichts ähnlicher neoliberaler Privatisierungsund<br />
Enteignungsstrategien Volksentscheide stattfanden, gingen diese häufig zugunsten<br />
öffentlichen Eigentums aus.<br />
In den Verwaltungen selbst besteht keine <strong>Demokratie</strong>. Max Adler hat auf diesen<br />
Umstand schon in den 1920er Jahren hingewiesen 2 . Die Wahlen betreffen nur<br />
die Volksvertreter, die Gesetze beschließen, aber auf die Durchführung und Anwendung<br />
der Gesetze haben die Bürgerinnen und Bürger keinen Einfluss: der<br />
Volkssouverän bestimmt und kontrolliert die Verwaltung und Rechtsprechung<br />
nicht. Das Personal wird nicht gewählt, es ist nicht rechenschaftspflichtig und<br />
kann ohne Konsequenz Fehler begehen, öffentliche Gelder verschwenden oder<br />
Sachverhalte nicht bearbeiten. In den Schulen beherrschen Verwaltungsvorgaben<br />
das Handeln der Lehrer, das Verhältnis zwischen LehrerInnen und SchülerInnen<br />
ist hierarchisch, weder Eltern noch Schülerinnen und Schüler sind an Entscheidungen<br />
beteiligt. An den Hochschulen wurde die demokratische Beteiligung aller<br />
am Lern-, Lehr- und Forschungsprozess Beteiligten frühzeitig durch konservative<br />
Professoren und Gerichte verhindert. In den vergangenen Jahren haben die Bundesländer<br />
die Kollegialverwaltung mehr oder weniger beseitigt und setzen im<br />
Rahmen der Einführung <strong>neue</strong>r Steuerungsmodelle die Präsidenten und Rektoren<br />
in die Position von autokratischen Vorstandsvorsitzender großer Konzerne jenseits<br />
jeder Kontrolle.<br />
Der christliche Glaube wird aufgrund von Staatsverträgen unangemessen gegenüber<br />
einer areligiösen, aufgeklärten Form einer demokratischen Alltagskultur<br />
privilegiert. Insbesondere die katholische Kirche erweist sich auch in ihrer inneren,<br />
bürokratisch-hierarchisch und männerbündischen Gliederung als eine antimoderne<br />
und antidemokratische Institution. Die konzertierten Kampagnen der katholischen<br />
und der evangelischen Kirche sowie vieler Sprecher islamischer Gemeinden,<br />
die alle den Respekt vor der Religion einfordern und Kino, Theater, Oper,<br />
Zeitungen, Karikaturen und Wissenschaft kritisieren, stellen einen Angriff auf die<br />
Aufklärung und die Rechte der demokratischen Öffentlichkeit dar. Doch die Re-<br />
2 Max Adler: Politische oder soziale <strong>Demokratie</strong> (1926). In: Ders.: Ausgewählte Schriften. Wien 1981, S. 205.<br />
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