Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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scheidungen von Expertengremien getroffen werden, die sich zudem einer nationalstaatlichen<br />
Kontrolle zunehmend entziehen, es gleichzeitig aber einen steigenden<br />
Legitimationsbedarf eben dieser Entscheidungen, die viele Menschen als Bedrohung<br />
empfinden, gibt, dann ist die von vielen beklagte Intensivierung der bloß<br />
symbolischen oder inszenierten Politik eine kaum zu vermeidende Konsequenz.<br />
Das, was bei professionellen Beobachtern, 17 aber auch bei vielen Bürgern ein<br />
Unbehagen auslöst, ist die mediale Inszenierung und vor allem Personalisierung<br />
von Entscheidungsmaterien, bei denen es oftmals keine Alternative zu geben<br />
scheint. Für Andras Körösényi ist diese Personalisierung dann auch der besonders<br />
augenfällige Ausdruck einer Tendenz zur »leader democracy«, wie sie prototypisch<br />
von Tony Blair verkörpert wird. Charakteristisch für diese Deformation der<br />
<strong>Demokratie</strong> sei die Umkehrung des Verhältnisses von Repräsentanten und Repräsentierten.<br />
Es seien nicht länger die Bürger, die mittels Wahlen die Regierung programmieren,<br />
sondern die politische Öffentlichkeit wird nach Körösényi – und hier<br />
trifft er sich in der Diagnose mit Crouch – professionell erzeugt: »Thus public is<br />
produced not as a result of the integration of a priori preferences existing dispersedly<br />
in individuals or groups [...] but shaped especially by political leaders.« 18<br />
Auch wenn diese Charakterisierung (noch) übertrieben sein mag, ist ein Trend zur<br />
Personalisierung der Politik bei gleichzeitiger Schwächung klassischer Formen<br />
der demokratischen Meinungsbildung wie Parteien und Parlamente unverkennbar.<br />
Scheinbar im Gegensatz zu dem zunehmend inszenierten Charakter der Politik<br />
und dem damit korrespondierenden Trend zur »leader democracy« steht die erhebliche<br />
Zunahme <strong>neue</strong>r Beteiligungsverfahren in Form von Mediationsverfahren,<br />
Bürgerforen, Bürgerhaushalten oder auch die Einführung von Referenden in den<br />
letzten beiden Jahrzehnten. Diese »participatory revolution« tritt, wenn auch in<br />
unterschiedlichem Ausmaß, in allen OECD-Staaten auf und ist von vielen als Anzeichen<br />
einer Stärkung direktdemokratischer Elemente auf Kosten repräsentativer<br />
Institutionen gedeutet worden. 19 Wir sind zwar Zeugen eines Abbaus von demokratischen<br />
Entscheidungsprozessen durch die Auslagerung in Expertengremien,<br />
gleichzeitig lässt sich aber auch eine Ausdehnung von Partizipationsformen beobachten.<br />
Die in ihnen zum Ausdruck kommende Forderung nach »Mehr <strong>Demokratie</strong>«<br />
– so der Name eines Vereins, der sich in Deutschland der direkten Bürgerbeteiligung<br />
verschrieben hat – ist Zeichen für die zumindest in einigen Bevölkerungsgruppen<br />
ungebrochene Sogwirkung des <strong>Demokratie</strong>begriffs und seinen Versprechen<br />
auf Partizipation und Inklusion. 20 Es sind dabei insbesondere lokale, kleinteilige<br />
17 Vgl. hierzu die Beiträge in Andreas Dörner (Hg.): WahlKämpfe. Betrachtungen über ein demokratisches Ritual.<br />
Frankfurt/M. 2002.<br />
18 Andras Körösényi: Political Representation in Leader Democracy. In: Government and Opposition 40 (3/05),<br />
S. 358-378.<br />
19 Vgl. Bruce Cain/Russell Dalton/Susan Scarrow, (Hrsg.): Democracy Transformed? Expanding Political Opportunities<br />
in Advanced Industrial Democracies. Oxford 2003; Ralf Dahrendorf: Afterword. In: Susan Pharr und<br />
Robert Putnam (Hrsg.): Disaffected Democracies. Princeton, NJ, 2000.<br />
20 Vgl. Hubertus Buchstein/Dirk Jörke: Das Unbehagen an der <strong>Demokratie</strong>theorie«. In: Leviathan 31 (4/2003),<br />
S. 470-496; Dirk Jörke: Auf dem Weg zur Postdemokratie«. In: Leviathan 33 (4/2005), S. 482-491.<br />
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