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Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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gen Anforderungen des Unternehmens oder des Arbeitsmarktes und flexibler Lebensführung<br />

ist zentraler Bestandteil der Anforderungen den <strong>neue</strong>n Produktionsweise<br />

40 .<br />

Für die interviewten Kulturschaffenden ist das Durchführen von Projekten oder<br />

an solchen Mitzuwirken zentral »das Leben wird als eine Abfolge und eine Durchdringung<br />

von ›Projekten‹ erfahren, wobei vom Ausstellungen-Initiieren, Veranstaltungen-Organisieren,<br />

Forschungsprojekte-Durchführen, Bücher-Schreiben oder<br />

Konzipieren und Wissensbestände-Aktualisieren bis zum Diätpläne-Schmieden,<br />

Dem-Fitnessclub-Beitreten und Liebesbeziehungen-Retten beinahe alles zum Projekt<br />

erklärt wird und überall Beschäftigung signalisiert wird. Dabei klebt an diesem<br />

Zustand des pausenlosen Beschäftigtsein wie eine zweite Haut das permanente<br />

schlechte Gewissen, man arbeite nicht genug« 41 . Hier scheint Köhlers Satz,<br />

dass wir alle nicht genug für unsere Ideen kämpfen, nachzuklingen – schließlich<br />

ist aus seinem Mund, da er gerade der erste Mann im Staate geworden war, der<br />

Selbstaktivierungssatz einigermaßen überraschend, was heißt das dann erst für die<br />

»Normalen«!<br />

Die Projektorientierung weitet die Grenzen des Arbeitstages, so dass es keine<br />

klare Grenze zwischen Arbeit und Privatleben gibt, sie werden »permanent verwischt<br />

und überschritten, aber auch wieder etabliert und erstritten […] Gerade die<br />

Tatsache, dass die Grenzen nicht einfach verschwunden sind, sondern man mit<br />

dieser ständigen Pendelbewegung zwischen Entgrenzung und <strong>neue</strong>r Grenzziehung<br />

zu kämpfen hat, ist ein nie versiegender Quell des Leidens« 42 . Gleichzeitig<br />

liegt darin auch ein Moment der Einbindung, weil ja die hier von Böhmler implizit<br />

gewünschte und verteidigte Trennung von Arbeits- und Freizeit auch nicht per<br />

se wünschenswert ist, sondern sich unter den spezifischen gesellschaftlichen Formen<br />

der Lohnarbeit herausgebildet hat – worin selbstverständlich auch der Kampf<br />

um die Grenzen des Arbeitstages seinen Sinn hat. Jenseits der Lohnarbeit, sozusagen<br />

in der utopischen Negation, ist diese Trennung aber gerade eine, die aufzuheben<br />

wäre – nicht damit die Menschen endlos arbeiten, sondern weil die Unterordnung<br />

unter fremde oder eigene (Verwertungs-) Interessen wegfallen würde.<br />

Diesen kleinen utopischen Funken und die oben beschriebenen Effekte der Entgrenzung<br />

der Arbeit macht sich eine Lohnarbeitsorganisation, die auf Stechuhr<br />

und fremdbestimmte Zeitvorgaben verzichtet, zu Nutze – Zielvereinbarungen,<br />

oder »Vertrauensarbeit« sollen den Arbeitenden »Mündigkeit« und »ein hohes<br />

Maß an Selbstdisposition und -organisation« 43 ermöglichen – mit dem Ergebnis,<br />

dass sich selbst bei Krankenkassen unbezahlte Überstunden häufen: Im Rahmen<br />

von Zielvereinbarungen werden keine Überstunden mehr angeordnet, können<br />

dann auch nicht abgerechnet oder abgefeiert werden.<br />

40 Vgl. Peter Hartz: Job Revolution. A. a. O., S. 68 ff.<br />

41 Daniela Böhmler; Peter Scheiffele: Überlebenskunst in einer Kultur der Selbstverwertung. A. a. O., S. 438.<br />

42 Ebenda.<br />

43 Vgl. Peter Hartz: Job Revolution. A. a. O., S. 15.<br />

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