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Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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er oder sie ist nicht an Mehrheitsentscheidungen im Kabinett gebunden. In den<br />

vergangenen Jahren, besonders unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder,<br />

wurde eine <strong>neue</strong> Art der Entformalisierung demokratischer Verfahren beobachtet,<br />

das Regieren mittels Kommissionen und Beratern.<br />

Politische Willensbildungsprozesse und Entscheidungen werden aus dem Parlament<br />

und den Verwaltungen in informelle Gremien verlagert. Dort werden politische<br />

Vorschläge, Gesetzesentwürfe und Strategien ausgearbeitet, die im Parlament<br />

nur noch ratifiziert oder an den Instanzen der Verwaltungen vorbei von der<br />

Spitzenebene der Ministerien durchgesetzt werden. Öffentliche Diskussionen gelten<br />

als unerwünscht, von ihnen wird gesagt, dass sie Entscheidungen zerredeten.<br />

Das ist aber autoritär gedacht, denn freilich dient die öffentliche Diskussion dem<br />

analytischen ›Zerreden‹, der interesseorientierten Auseinanderlegung der Implikationen<br />

und Folgen von Entscheidungen. Gerade das ist die Fähigkeit des kollektiven<br />

Räsonierens: nämlich Fehler zu vermeiden. Und es ist geradezu eine Verhöhnung<br />

der kritischen Öffentlichkeit, wenn Politikerinnen und Politiker wie Künast<br />

oder Bütikofer sich über öffentliche Proteste gegen Verarmungsprozesse freuten,<br />

die sie, noch selbst in der Regierung vertreten, ignorierten, und über die Folgen<br />

ihrer eigenen Sozialgesetzgebung überrascht taten und sich als Verdienst zuschrieben,<br />

die Armut wenigstens offen gelegt zu haben. Bemerkenswert ist auch,<br />

wie leicht es gefallen ist, auf der Ebene einiger Bundesländer den Volkssouverän<br />

zu entmächtigen, indem die Legislaturperioden verlängert wurden.<br />

Die Argumente dafür bewegen sich auf einem demokratietheoretisch denkbar<br />

niedrigen Niveau: die Wahlkämpfe gelten als teuer, aufgrund der Wahlkämpfe<br />

würden sich die Parlamente nicht angemessen auf ihre Arbeit konzentrieren. Das<br />

ist paradox genug, denn die Parlamente sollen das Volk repräsentieren und für es<br />

Entscheidungen treffen. Um solche Entscheidungen treffen zu können, wird das<br />

Volk noch weiter aus dem Politikprozess herausgehalten.<br />

Das Kostenargument ist gefährlich. Denn es begünstigt einen Standpunkt ökonomistischer<br />

Beliebigkeit mit antidemokratischer Tendenz: »Aber <strong>Demokratie</strong> hat<br />

sich nicht derart eingebürgert, dass sie die Menschen wirklich als ihre eigene Sache<br />

erfahren, sich selbst als Subjekte der politischen Prozesse wissen. Sie wird als<br />

ein System unter anderen empfunden, so wie wenn man auf einer Musterkarte die<br />

Wahl hätte zwischen Kommunismus, <strong>Demokratie</strong>, Faschismus, Monarchie; nicht<br />

aber als identisch mit dem Volk selber, als Ausdruck seiner Mündigkeit.« 8 <strong>Demokratie</strong><br />

könnte aufgrund von Nutzenkalkülen zur Wahl gestellt werden.<br />

Allerdings wäre durchaus richtig, aber unter demokratisch-freien Gesichtspunkten,<br />

über Kosten zu sprechen und darüber, was die Kosten verursacht und<br />

welche berechtigt und notwendig sind: Wahlwerbung, Kampagnen, Meinungsumfragen,<br />

Geschenke, Abgeordnete, Parlamentsbetrieb. Tatsächlich stellt sich die<br />

Frage nach der demokratiepolitischen Effizienz und Effektivität des Parlaments<br />

8 Theodor W. Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. A. a. O., S. 559.<br />

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