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BAND 50: CHRISTUS, DIE CHRISTEN & DIE CHRISTENHEIT<br />
nach Skriver, S. 14).<br />
Die Lebensweise der ersten Urchristen in Palästina ist für viele Menschen ein Stein des<br />
Anstoßes. Denn nach wie vor ist der Tempel mit seinen täglichen Tieropfern der religiöse und<br />
politische Mittelpunkt der Gesellschaft. Und bei jedem der vielen Feste im Jahreslauf sind<br />
bestimmte Schlachtungen vorgeschrieben und das Verzehren bestimmter Fleischstücke bei den<br />
Festmählern gilt nicht nur als Essgewohnheit, sondern als Gehorsam gegenüber einem Gott, der<br />
solches geboten haben soll. Deshalb zählt die tierfreundliche Lebensweise des Jakobus und der<br />
Urgemeinde als Abfall von Gott und seinen Geboten - ein Vorwurf, um dessentwillen Jakobus im<br />
Jahr 62 n. Chr. von Anhängern der Jerusalemer Priester durch Steinigung ermordet wird. Sein<br />
Nachfolger Simeon, ein Cousin von Jesus, bleibt dieser Lebensweise aber treu, ebenso dessen<br />
Nachfolger Justus (ab 107) (Skriver, S. 15f.). Man kann also davon ausgehen, dass die ersten<br />
Christen Vegetarier waren, und zwar aus Überzeugung.<br />
Wessen Wort gilt?<br />
Jesus von Nazareth hatte die Bevölkerung einige Jahre<br />
zuvor darüber aufgeklärt, dass die Opfervorschriften nicht<br />
von Gott stammen, sondern von der Priesterkaste, und Er<br />
sagte: »Ich bin gekommen, die Opfer abzuschaffen, und<br />
wenn ihr nicht ablasst zu opfern, wird der Zorn nicht von<br />
euch ablassen«, wobei mit dem »Zorn« die negativen<br />
Auswirkungen im Gesetz von Saat und Ernte gemeint<br />
sind. Dieses Wort von Jesus ist im urchristlichen<br />
Ebionäerevangelium (Anfang des 2. Jahrhunderts)<br />
dokumentiert, das die Kirche einige Zeit später vernichten<br />
ließ. Nur wenige Sätze sind erhalten, die der katholische Kirchenvater Epiphanius (um 400) in<br />
seinem Buch »Gegen die Irrlehrer« zitiert. Epiphanius berichtet auch, dass die von ihm (nach<br />
einem Mann namens Ebion) so genannten Ebionäer oder Ebioniten auf die Frage, warum sie<br />
Fleischspeisen und Opferkult strikt ablehnten, antworteten, Jesus habe es so gesagt (Contra<br />
Haereses, 30,18.9).<br />
Doch der Großteil der Menschen hört lieber weiter auf die Priester anstatt auf den Mann aus<br />
Nazareth. Der Tempel, in dem die Tiere geschlachtet werden, gewinnt noch an Bedeutung und<br />
wird als Kunstwerk erst in den 60er-Jahren baulich vollendet. Fast gleichzeitig beginnt der<br />
Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht, der in einer Katastrophe mit über 100 000 Toten<br />
und der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. endet. Von den Überlebenden kommen<br />
manche jetzt zur Besinnung und in einer jüdischen Quelle ist zu lesen: »Als der Tempel zerstört<br />
worden war, mehrten sich die Enthaltsamen in Israel, die weder Fleisch aßen noch Wein tranken«<br />
(Talmud, Baba Batra 60 b).<br />
Das Ende des Krieges und des Tempels hätten einen Neuanfang in der Gesellschaft auch im<br />
Verhältnis zu den Tieren bedeuten können. Doch ausgerechnet bei einigen, die sich auf Christus<br />
berufen und die deswegen aus den Synagogen, den verbliebenen Gebetshäusern,<br />
ausgeschlossen werden, ziehen allmählich die Kompromisse ein und es wird wieder Fleisch<br />
gegessen. So jedenfalls geht es aus einem Dokument über die Christen in Palästina Anfang des<br />
2. Jahrhunderts hervor, dem Brief des römischen Gesandten Plinius an Kaiser Trajan. Plinius<br />
schreibt nach Rom, dass bei ihnen »das Fleisch der Opfertiere, für das es eben noch kaum mehr<br />
einen Käufer gab, überall wieder Absatz findet« (Epistula (= Brief) X, 96).<br />
Doch bevor in Palästina Menschen, die sich Christen nannten, wieder mit dem Fleischverzehr<br />
begonnen hatten, war der Damm bereits in anderen Teilen des römischen Reiches gebrochen.<br />
Wie ist es dazu gekommen? Nachdem sich die Nachfolger von Jesus zunächst nur gegenüber<br />
den jüdischen Priestern und ihren Anhängern behaupten müssen, tut sich bereits um das Jahr 50<br />
eine neue Front auf. Ein Einzelgänger namens Paulus fängt auf eigene Faust an, Menschen für<br />
Christus zu gewinnen, und zwar außerhalb von Israel. Weil Paulus als Parteigänger der Pharisäer<br />
die Jesusnachfolger in Jerusalem früher verfolgte, herrscht zunächst Freude über seine<br />
Bekehrung - einem Erlebnis, bei dem ihm nach eigenen Angaben Christus erschienen ist. Doch<br />
1314<br />
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