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Romanist: Im Dienste der deutschen Nation - KOBRA - Universität ...

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„allerschwerste Ziel“ dieses „berechnenden Denkens“ sei es jedoch, „dem Lebenden sein<br />

Leben“ diktieren zu wollen: es gehe darum, für jeden Einzelnen durch „prévoyance,<br />

prévision, précaution“ eine bindende und „beglückende“ „méthode de la vie“ aufzustellen.<br />

Dies drücke sich auch in <strong>der</strong> Sprache dieses „Volkes von Geometern“ aus: „régler sa flamme<br />

(Corneille); chercher une règle pour agir (Brunetière von Bossuet); vivre sous le régime<br />

(Gide); se faire une raison (Barrès)“ usw. An dieser Stelle sei es, so Wechssler, gar nicht<br />

notwendig, die literarischen Beispiele „zu häufen“ – es sei „nachweislich“ so, dass „viele<br />

Personen <strong>der</strong> Geschichte“ in Frankreich „nach vornweg festgelegtem Plan ihr Leben führten“<br />

1212 .<br />

Eine solche „berechnende Denkweise“ führe natürlich „nie in die Geheimnisse von Natur<br />

und Geist“. Man müsse „das Ganze“ im Auge behalten, um „in die Welt wachstümlicher<br />

Ordnung“ eindringen zu können 1213 . Genau dies tue nun <strong>der</strong> Deutsche, weshalb Goethe sich<br />

auch beson<strong>der</strong>s über die französischen Worte „Kalkül“ und „Komposition“ aufgeregt habe.<br />

So habe er im Juni 1931 in sein Tagebuch geschrieben: „Ihr [<strong>der</strong> Franzosen, A.d.V.] unseliger<br />

Respekt vor dem Kalkül“ und „Komposition! Als ob Mozarts Don Juan ein Stück Kuchen<br />

o<strong>der</strong> Biskuit wäre, das man aus Eiern, Mehl und Zucker zusammenrührt! Eine geistige<br />

Schöpfung ist es, das Einzelne wie das Ganze aus einem Geiste und Guß und von dem<br />

Hauche eines Lebens durchdrungen“. Bei den Deutschen werde insgesamt alles als<br />

Organismus, d.h. als gewachsene und nicht als erzwungene Einheit betrachtet 1214 . Deshalb sei<br />

„deutsches Schaffen und Gestalten“ „ein Wachsenlassen und zur Reifebringen“. Für die<br />

Deutschen sei nur die „Glie<strong>der</strong>ung“ wichtig, „worin die Teile sich im geheimen Ausgleich<br />

und Einklang zum Ganzen finden. Als Beispiele werden genannt: Goethe, Gottfried Keller,<br />

Schiller, auch „die großen <strong>deutschen</strong> Erfin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Technik“ wie Gottlieb Daimler und Graf<br />

Zeppelin 1215 .<br />

Bei Kin<strong>der</strong>n könne man nun mit Berechnung, Bauplan, und Lebensregel nichts anfangen.<br />

Kin<strong>der</strong> bräuchten Liebe, Beratung und ein Vorbild. Diesen Gegensatz habe beson<strong>der</strong>s Goethe<br />

am Beispiel von „Therese und Nathalie“ auf den Punkt gebracht: Während die eine durch<br />

Einsicht, Beharrlichkeit und Zutrauen gekennzeichnet sei, stehe die an<strong>der</strong>e für Glaube, Liebe,<br />

Hoffnung. Während Therese die Kin<strong>der</strong> „dressiere“, „bilde“ Natalie sie 1216 .<br />

1212 Ebenda, S. 435.<br />

1213 Ebenda, S. 439.<br />

1214 Ebenda, S. 441.<br />

1215 Ebenda, S. 445f.<br />

1216 Ebenda, S. 446.<br />

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