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LITERARISCHE LESE IN FRANKEN-www-final

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Literarische<br />

<strong>LESE</strong> 2016<br />

in Franken<br />

Eröffnungsvortrag<br />

Eröffnungsvortrag<br />

Mühen und oft zusätzliches Wissen über Autoren, Epochen und Gattungen.<br />

Aber: Schüler interessieren sich für einen Text primär nicht, weil er aus dem<br />

poetischen Realismus stammt oder weil er zur Gattung Novelle gehört. Schüler<br />

interessieren sich zunächst einmal für Inhalte: also für Figuren, denen wir da<br />

begegnen, für die Geschichten, die uns da erzählt werden, für die Bilder und Szenen<br />

und Welten, die uns da vor Augen kommen. Leser in freier Wildbahn – und vielleicht<br />

auch wir selbst heimlich, im Privaten? – lesen Literatur, weil sie spannende, lustige,<br />

traurige, verblüffende, bestürzende, verstörende, erhebende Wirklichkeiten vorstellt.<br />

Ich möchte daher erstens dafür plädieren, den Klassikern etwas weniger weihe- und<br />

andachtsvoll zu begegnen, sondern sie zum Leben zu bringen. Gewiss ist „Der<br />

Zauberlehrling“ ein literarisches Dokument von Goethes Abkehr vom Sturm und<br />

Drang und obendrein eine Ballade. Aber zuerst und vor allem ist „Der Zauberlehrling“<br />

eine großartige Geschichte: Eh Alter, mach dich vom Acker, das ist jetzt meine Show.<br />

Dann aber böse Sache! Der Alte muss es richten. Zweitens meine ich, dass in einen<br />

anregenden Literaturunterricht gerade in der Mittelstufe und auch im Gymnasium<br />

mehr Texte einer anspruchsvollen Jugendliteratur gehören. Es gibt sie zuhauf – z. B.<br />

Löcher (1998) von Louis Sachar oder Tschick (2010) von Wolfgang Herrndorf oder<br />

Anders (2015) von Andreas Steinhöfel. Drittens sollte ein anregender<br />

Literaturunterricht mediale Adaptionen in Literaturverfilmungen und<br />

Medienverbünden stärker aufgreifen. Neuere Verfilmungen oder Medienverbünde gibt<br />

es etwa zu Vorstadtkrokodile (2009ff.), Lippels Traum (2009), Krabat (2008), Die<br />

Entdeckung der Currywurst (2008), Der Vorleser (2008), Effi Briest (2009) oder Rico,<br />

Oskar und die Tieferschatten (2014). 12<br />

Ein anregender Literaturunterricht, das wäre für mich also einer, in dem es mehr um<br />

das grüne Leben der Texte und weniger um das Grau der Germanistik ginge. In der<br />

großen Mehrzahl wollen unsere Schülerinnen und Schüler keine Germanisten werden<br />

– gottlob! Schön wäre es aber doch, wenn aus ihnen Leser und Leserinnen würden!<br />

Lesen als gemeinschaftliche Praxis und als soziales Handlungssystem erfahren. Dies<br />

beginnt schulisch in einem Literaturunterricht, der einen reichhaltigen Austausch über<br />

Texte ermöglicht. Es greift aber über das Klassenzimmer hinaus: durch den Besuch<br />

außerschulischer literarischer Lernorte, wie sie Buchläden, Bibliotheken,<br />

Autorenlesungen oder Schauplätze der Literaturgeschichte darstellen; aber auch<br />

durch Aktivitäten im erweiterten Schulrahmen, etwa Lesenächte und<br />

Lesewettbewerbe. In diesem Zusammenhang zu nennen ist auch eine<br />

Schulbibliothek mit einem schülernahen Literatur- und Medienangebot aus Belletristik<br />

und Sachbuch, Zeitungen und Zeitschriften, und Zugang zu audiovisuellen und<br />

digitalen Medien.<br />

Ich fasse den „Nachrichtenteil“ zusammen: Die PISA-Studie ging von einem<br />

einseitigen Konzept des Lesens und der Lesekompetenz aus. Lesen tun Menschen<br />

nicht nur, um ein Referat über Bootcamps vorzubereiten; lesen tun Menschen auch,<br />

um sich in die Geheimnisse von Green Lake vorzutasten. Lesen ist nicht nur<br />

praktische Lebensbewältigung mit Sachtexten, sondern auch zweckfreier Genuss<br />

fiktionaler Welten – wie etwa in dem Satz Der Club steigt auf und wird Meister.<br />

Andererseits haben die PISA-Ergebnisse klargemacht, dass Leseförderung, die<br />

ausschließlich auf der Subjekt- und auf der sozialen Ebene ansetzt, zu kurz greift.<br />

Freies Lesen und Viellesen, schulische und außerschulische Aktivitäten der<br />

Leseanimation können erst wirken, wenn Kinder und Jugendliche den Leseprozess<br />

einigermaßen gemeistert haben. Lautleseverfahren und die Einübung von<br />

Lesestrategien sind daher wichtige Bestandteile der Leseförderung.<br />

Lassen Sie mich nun wie angekündigt in einem kleinen „Meinungsteil“ zwei Thesen<br />

zur Leseförderung vorschlagen und damit auch zur Sache mit dem Wasser und dem<br />

Wein kommen. Meine erste These lautet:<br />

1. Über (idealistischen) Fernzielen sollten (realistische) Nahziele nicht an<br />

den Rand geraten.<br />

Bleibt noch die soziale Ebene des Lesens und der Leseförderung. Diese steht mit<br />

der Subjektebene in einem engen Zusammenhang. Auf der sozialen Ebene wird<br />

____________________<br />

12 Vgl. etwa die Beiträge in Josting, Petra / Maiwald, Klaus (Hrsg.) (2010): Verfilmte<br />

Kinderliteratur. München: kopaed; ebenso: Maiwald, Klaus (2015): Vom Film zur<br />

Literatur. Moderne Klassiker der Literaturverfilmung im Medienvergleich. Stuttgart:<br />

Reclam.<br />

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Leseförderung soll idealerweise ein Anliegen aller Fächer sein. Leseförderung soll<br />

idealerweise ein Anliegen von Schulentwicklung sein. Leseförderung soll idealerweise<br />

schulische mit außerschulischen Aktivitäten verzahnen, die Eltern mit in die Pflicht<br />

nehmen, Lesepatenschaften knüpfen usw. Dies ist ohne Zweifel gut und richtig, es<br />

sind dies aber Ziele, die sehr groß, und Aufgaben, die sehr schwierig sind. Vielleicht<br />

so groß und schwierig, dass man das Thema Leseförderung womöglich lieber ganz<br />

lässt. Dies wäre nun in der Tat fatal. Mir schiene daher wichtig, die kleinen Schritte<br />

nicht zu vergessen und sie zuerst zu tun: Viel wäre damit gewonnen, wenn es eine<br />

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