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PDF-Format - Hans Joachim Teschner

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Der Stachelmarkt<br />

Viele der verwahrlosten Häuser und Hütten, an denen Zippel vorbeimar-<br />

schierte, schienen unbewohnt zu sein. Bei näherem Hinsehen konnte er<br />

jedoch heimliche Bewegungen hinter den Pferdedecken und Bettlaken aus-<br />

machen, die hier als Gardinen dienten. So trostlos hatte sich Zippel die<br />

Hauptstadt Stachelburg nicht vorgestellt. Wie mochte es erst in den Dör-<br />

fern und Ansiedlungen auf dem Land aussehen. Die Türen hingen schief in<br />

ihren Angeln und waren vielfach durch Kohlen- und Kartoffelsäcke ersetzt<br />

worden. Kaum ein Fenster besaß ein intaktes Fensterglas. Als Ersatz waren<br />

notdürftig Bretter und Dachpappen davorgenagelt worden. Zippel fröstelte<br />

bei dem Gedanken an die Wintermonate. Ob die Einwohner in ihren Häu-<br />

sern Lagerfeuer unterhielten, um sich halbwegs vor der Kälte zu schützen?<br />

Diese und viele andere Fragen konnte Zippel sich nicht beantworten.<br />

Nirgendwo sah er Handwerksbetriebe oder Kaufläden. Kein Schneider, kein<br />

Frisör, kein Bäcker öffnete sein Geschäft, was keineswegs der frühen Mor-<br />

genstunde zuzuschreiben war. Stattdessen trieben sich wenig vertrauener-<br />

weckende Gestalten herum. In ihren zerlumpten Uniformen drückten sie<br />

sich in die dunklen Ecken der Gassen, so, als triebe sie ein schlechtes<br />

Gewissen weg von der entlarvenden Helligkeit der Straße.<br />

'Wenn mich nicht alles täuscht', dachte Zippel, 'besteht die ganze Stadt<br />

aus Wegelagerern, die von Raub und Diebstahl leben.'<br />

Trotz der feindseligen Atmosphäre, die von den windschiefen Häusern<br />

und Gestalten ausging, fürchtete sich Zippel nicht. Die Leichtigkeit, mit der<br />

er die Torwache überrumpelt hatte, machte ihn zuversichtlich. Noch hatte<br />

er das Bild seines Streiches vor Augen:<br />

Da wartet er vor dem Stadttor. Seinen ganzen Mut nimmt er zusam-<br />

men. Vorsichtshalber steckt er sich eine Handvoll Nägel und Scherben in<br />

den Mund, mit der er die Wächter landesüblich und standesgemäß begrü-<br />

ßen will. Nichtsahnend und verschlafen riegeln diese kurz nach sechs Uhr<br />

das Tor auf. Zippel holt tief Atem und rotzt die ganze Ladung Nägel in die<br />

Gesichter der Wächter. Die Verblüffung über soviel Freundlichkeit ver-<br />

schlägt ihnen die Sprache. »Stech euch, krtzkrr!« schreit nun Zippel und<br />

scharrt mit den Füßen wie der Leibhaftige, wenn ihm eine Laus über die<br />

Leber juckt. Übermütig schlägt er mit dem Bein aus und treibt seinen Spo-<br />

ren in das Holz des Tores. Nun ergreift wirklich der Teufel von ihm Besitz.<br />

Mit seiner großen Ersatznadel sticht er den beiden Wächtern kurzerhand in<br />

die Arme. »Gestatten, Rippel aus Korinth!« erklärt er, »Nagel-, Nadel- und

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