PDF-Format - Hans Joachim Teschner
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Eine unruhige Nacht<br />
Erschreckt fuhr Rosalinde aus ihrem unruhigen Schlaf. War da nicht ein<br />
Geräusch an der Tür? Kerzengerade saß sie auf ihrem Bett und versuchte,<br />
das Dunkel der Hütte mit den Augen zu durchbohren. Nach einer Weile<br />
beruhigte sie sich wieder.<br />
'Ich muss geträumt haben', dachte sie und zog sich die Decke über den<br />
Kopf. An ein Einschlafen war kaum zu denken. Gegen ihren Willen wander-<br />
ten ihre Gedanken immer wieder zu dem wüst aussehenden Fremden mit<br />
der lächerlich dünnen Stimme. Die gegensätzlichsten Gefühle stritten sich<br />
in Rosalindes Brust. Einerseits schauderte sie vor dem schmutzigen und<br />
zerfetztem Aussehen des Nagelverkäufers, andererseits fühlte sie sich auf<br />
unerklärliche Weise zu ihm hingezogen. Dann wiederum ängstigte sie ein<br />
bohrender Verdacht, den sie schnell wegschob, der jedoch hartnäckig wie-<br />
der auftauchte und sich als untergründiges Misstrauen bei ihr einnistete.<br />
Besorgt dachte sie an das Paket mit den kostbaren Nadeln. Zu Hause<br />
angekommen, hatte sie es nicht lassen können, einen Blick in die Nadel-<br />
sammlung zu werfen. Wie groß war ihr Erstaunen gewesen, als sie neben<br />
Steck-, Näh-, Stopf- und Stricknadeln sogar einige Häkelhaken und Rund-<br />
stricknadeln entdeckte. Alle aus edelstem Metall, ohne eine Spur von Rost<br />
und penibel nach Art und Größe geordnet. Von Neugier und Überraschung<br />
übermannt hatte Rosalinde auch noch unter die glitzernden Nadeln gefasst<br />
und dort etliche Rollen Garn vorgefunden, die dort versteckt waren. Neben<br />
Näh-, Stopf- und Strickgarn in verschiedenen Farben und Stärken hatte sie<br />
sogar eine Rolle mit kostbarem Seidenfaden gefunden in einer ihr unbe-<br />
kannten leuchtenden Farbe.<br />
Zippel hatte, entgegen aller Vorsichtsregeln, es nicht über sich<br />
gebracht, ohne seine geliebten Garne loszuziehen. Und so hatte er noch in<br />
Wabbelburg heimlich den Zwirn und die Seide unter die Nadeln gesteckt.<br />
Niemand außer ihm sollte davon erfahren. Nun hatte er in Rosalinde eine<br />
Mitwisserin.<br />
Vor Angst zog sich ihr Herz zusammen: diese Nadel- und Garnsammm-<br />
lung stellte in Stachelland einen so unermesslichen Schatz dar, dass der<br />
Besitzer in akuter Lebensgefahr steckte. Vergleichbar war er höchstens mit<br />
dem Besitz einer Kiste Salzklumpen. Vergeblich hatte Rosalinde ein Ver-<br />
steck in ihrer ärmlichen Hütte gesucht. Schließlich hatte sie einige Bohlen<br />
unter ihrem Bett gelöst und das Paket in den Hohlraum darunter gescho-<br />
ben. Sie machte sich keine Illusionen: vor den plündernden Strauchdieben