PDF-Format - Hans Joachim Teschner
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kurzen Betten zu schlafen. In dem wohligen Gefühl, bei Rosalinde in<br />
Sicherheit zu sein, schlief er bis zum Morgengrauen, ohne ein einziges Mal<br />
aufzuwachen. Erst als Rosalinde ihn mit einer Hühnerfeder an der Nase kit-<br />
zelte, erwachte er und fühlte sich gestärkt und zu neuen Abenteuern<br />
bereit.<br />
Rosalinde hatte schon den Frühstückstisch gedeckt, der, wie sollte es<br />
anders sein, aus einer leeren Holzkiste bestand. Ein süßer Geruch weckte<br />
die letzten Lebensgeister des Schneiders, und er stürzte sich hungrig an<br />
den Tisch. Vor ihm lagen, neben der dampfenden Tasse Tee, fünf zerdrück-<br />
te Gummibärchen!<br />
»Beim heiligen W...« rief Zippel, und er konnte gerade noch das verrä-<br />
terische Wort Wabbelstein verschlucken. »Wo kommen denn die Gummi-<br />
bärchen her?«<br />
»Och«, antwortete Rosalinde, »so genau weiß ich das auch nicht. Ab<br />
und zu, in unregelmäßigen Abständen, legt irgendjemand mir des Nachts<br />
Süßigkeiten auf den Tisch. Meistens sind es Gummibärchen und Honigwa-<br />
ben. Ohne diese Honigwaben könnte ich schließlich mein Honigbrot nicht<br />
backen. Wie der geheimnisvolle Besucher hereinkommt, weiß ich auch<br />
nicht . Das geht schon seit meiner Kindheit so.«<br />
Zippel erfuhr nun, dass Rosalinde als Waisenkind bei verschiedenen<br />
Familien aufgewachsen war. Lange hatte es keine Familie mit ihr ausgehal-<br />
ten, da sie mit ihrer Vorliebe für Süßigkeiten ständig für Ärger und<br />
Abscheu sorgte. Schon als kleines Mädchen hatte sie unter ihrem Kopfkis-<br />
sen die heimlichen Lutscher und Honigbonbons gefunden, und sie machte<br />
sich schon lange keine Gedanken mehr darüber.<br />
Zippel aber betrachtete mit zunehmender Besorgnis die Gummibärchen.<br />
Der Verdacht, der ihm beim ersten Augenschein gekommen war, verdichte-<br />
te sich zur Gewissheit: dies waren seine zerdrückten Gummibärchen, die<br />
ihm aus den aufgebogenen Fingern gestohlen worden waren. Wie kamen<br />
sie hier in Rosalindes Hütte? Gab es etwa einen Komplizen? Aber warum<br />
gab er sich nicht zu erkennen? War es dieselbe Person, die ihn in seiner<br />
Bewusstlosigkeit bis vor die Stachelburg geschleppt hatte? Sein wirrer lan-<br />
ger Traum fiel ihm wieder ein: zum Schluss glaubte er die Zöllnerin<br />
erkannt zu haben. Aber er war sich nicht sicher, ob es noch Traum oder<br />
schon Wirklichkeit war.<br />
Fragend sah Rosalinde ihn an, aber Zippel grübelte nur mit zusammen-<br />
gezogenen Augenbrauen und aß schweigend sein Brot. Nachdem sie die<br />
Nadeln aus dem Versteck hervorgeholt hatten, begaben sie sich beide auf<br />
den Weg zum Markt, Rosalinde mit einer bangen Ahnung im Herzen, Zippel