Stenografischer Bericht: 114. Sitzung - Deutscher Bundestag
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10426 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 15. Wahlperiode – <strong>114.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004<br />
Anke Eymer (Lübeck)<br />
(A) des Deutschen <strong>Bundestag</strong>es von 1989 zur damals bevor- anderes ausweist. Ich weise nur darauf hin, dass hieran (C)<br />
stehenden Unabhängigkeit Namibias. Schon zu diesem deutlich wird, wie unbedarft und vielleicht auch unge-<br />
Zeitpunkt hat Deutschland die Bereitschaft zu einem beschickt politische Themen Afrikas zusammengeworfen<br />
sonderen Engagement deutlich gemacht; das entsprach und in einem schnellen Aufguss erledigt werden sollen.<br />
unserer historischen Verbindung. Diese Bereitschaft<br />
muss auch weiterhin gelten und uns als einen verlässlichen<br />
Partner in Namibia und Afrika ausweisen.<br />
In den Jahren seit der Unabhängigkeit Namibias im<br />
Jahre 1990 ist Deutschland der größte Partner Namibias<br />
auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik. Das ist auch<br />
(Beifall bei der CDU/CSU)<br />
der Tatsache geschuldet, dass es eine 30-jährige kolo-<br />
Die Reise des deutschen Bundeskanzlers in diesem<br />
Januar ging zwar nicht nach Namibia, trotzdem ist ein<br />
wichtiges Thema – der Aufstand der Herero und seine<br />
Niederschlagung – bei seinem Besuch vor der AU, der<br />
Afrikanischen Union, zur Sprache gekommen. In der<br />
Antwort, die der Präsident der Afrikanischen Union gegeben<br />
hat, wurde eine grundsätzliche Überzeugung der<br />
afrikanischen Partner deutlich: Für einen gleichberechtigten<br />
Dialog und ein erstarkendes afrikanisches Selbstniale<br />
Vergangenheit aus der Zeit des deutschen Kaiserreiches<br />
gibt, die 1915 ihr Ende fand. Zum 11. August<br />
dieses Jahres jährt sich zum 100. Mal die Niederlage der<br />
Volksgruppe der Herero in der Schlacht am Waterberg.<br />
Den Opfern unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen<br />
aus der oft blutigen und menschenverachtenden afrikanischen<br />
Kolonialzeit, die die deutsche Geschichte mit<br />
zu verantworten hat, gilt unser stilles Gedenken und unsere<br />
Trauer.<br />
bewusstsein ist das offene Eingeständnis von Fehlern Dieses bewusste Erinnern an die Geschichte ist aber<br />
und grausamen Verbrechen, die in der gemeinsamen Ge- nur dann verantwortet, wenn es sinnvoll in eine Politik<br />
schichte auf europäischer Seite begangen wurden, weit von heute einbezogen wird. Das heißt: Erstens. Afrika<br />
mehr von Bedeutung als manch eine materielle Überle- muss deutlicher in die europäische Politik eingebunden<br />
gung.<br />
werden. Zweitens. Das Afrika des 21. Jahrhunderts muss<br />
Der Blick auf die koloniale Vergangenheit Afrikas<br />
zeigt eine Ausbeutungsgeschichte, an der über Jahrhunderte<br />
mehr als nur europäische Staaten teilgenommen<br />
haben. Wir Deutsche können dieses traurige Datum des<br />
11. August 1904 nutzen, um auch in einem zusammen-<br />
zu einem Produkt der Afrikaner werden. Dies muss abseits<br />
von unkritischer und ideologisierter Schönfärberei<br />
oder politischen Schnellschüssen geschehen. Nur so<br />
wird ein kritisch-konstruktiver Dialog mit unseren afrikanischen<br />
Partnern möglich sein.<br />
wachsenden Europa unsere Verantwortung und Trauer Ich hoffe sehr, dass wir den afrikanischen Themen<br />
nicht nur zu benennen, sondern sie beispielhaft auch in hier im Deutschen <strong>Bundestag</strong> in Zukunft mehr Aufmerk-<br />
(B)<br />
Politik umzusetzen.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem<br />
samkeit widmen und Chancen für eine sinnvolle Zusammenarbeit<br />
finden werden.<br />
(D)<br />
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
Der vorliegende Antrag von SPD und Grünen geht<br />
daher grundsätzlich nicht in die falsche Richtung.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.<br />
Ulrich Heinrich [FDP] und des Abg. Hans-<br />
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE<br />
GRÜNEN]: Das ist aber schön! – Zuruf von<br />
der FDP: Schön gesagt!)<br />
Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-<br />
NEN])<br />
Unter dem Titel des „Opfergedenkens“ wird auch auf ein<br />
aktuelles Thema, die Landreform, eingegangen. Ob<br />
diese stillschweigende Verknüpfung hier sinnvoll ist, sei<br />
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:<br />
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Christian<br />
Ströbele.<br />
dahingestellt. Sicher hilft es aber nicht, in einem partnerschaftlichen<br />
Dialog, den wir mit Namibia pflegen, kon- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE<br />
struktive Kritik auszublenden. Diesen Eindruck erwe- GRÜNEN):<br />
cken Sie mit dem vorliegenden Antrag aber. Erstens Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />
muss klar sein, dass die Reihe der Problemfelder in Na- Frau Kollegin Eymer, Ihren letzten Satz unterstütze ich<br />
mibia über dasjenige einer Landreform hinausgeht. voll und ich habe auch geklatscht. Ich darf darauf hin-<br />
Zweitens gebietet es die Wichtigkeit dieser Angelegenweisen, dass die Überschrift des vorliegenden Antrags<br />
heit, sie nicht en passant unter einem anderem Thema lautet: „Zum Gedenken an die Opfer des Kolonialkrieges<br />
schnell zu verkaufen.<br />
im damaligen Deutsch-Südwestafrika“. Es geht also<br />
Themen der Landreform sind wichtig und brisant.<br />
Wie groß die Gefahren aus fehlschlagenden Reformen<br />
dieser Art werden können, sehen wir ja in anderen Län-<br />
nicht um die generelle Politik gegenüber Namibia. Dazu<br />
gibt es viel und sicher auch Kritisches zu sagen. Hier<br />
aber geht es um das konkrete Gedenken.<br />
dern des südlichen Afrikas. Es ist bedauerlich, wie un- Ich war im Januar dieses Jahres zum 100. Jahrestag<br />
kritisch, ja fast schon beschönigend über den noch nicht des Beginns des Aufstandes der Hereros gegen die deut-<br />
erfolgreichen Prozess der Landreform in Ihrem Papier schen Kolonialherren in Namibia. Ich habe ein wunder-<br />
gesprochen wird. Ich möchte auf dieses Thema hier schönes Land vorgefunden, das rein äußerlich, wenn<br />
nicht weiter eingehen, auch deshalb nicht, weil Ihr An- man durchfährt, sehr stark durch Europa und durch<br />
trag seinem Titel entsprechend für diese Debatte etwas Deutschland geprägt erscheint. Das betrifft nicht nur die