26.10.2012 Aufrufe

Stenografischer Bericht: 114. Sitzung - Deutscher Bundestag

Stenografischer Bericht: 114. Sitzung - Deutscher Bundestag

Stenografischer Bericht: 114. Sitzung - Deutscher Bundestag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Hans-Christian Ströbele<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 15. Wahlperiode – <strong>114.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10427<br />

(A) Straßen, sondern auch die Häuser und Ortschaften. Das ändert worden. Aber diese Botschaft kommt klar zum (C)<br />

freut einen zunächst.<br />

Ausdruck. Ich meine, der Deutsche <strong>Bundestag</strong> sollte sich<br />

Ich habe dann gesehen, dass diese Straßen über Hunderte<br />

von Kilometern rechts und links von Zäunen eingegrenzt<br />

sind. Hinter diesen Zäunen liegen die großen Far-<br />

dazu bereit finden, diese Botschaft geschlossen und einheitlich<br />

nach Namibia zum 100. Jahrestag des Gedenkens<br />

an dieses deutsche Tun zu verabschieden.<br />

men. Ich habe mich gefragt: Wo leben hier eigentlich die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />

schwarzen Menschen? Wo sind die Dörfer und die kleinen<br />

Städte? Wo sind die Bewohner und deren Siedlun-<br />

und bei der SPD)<br />

gen? Ich habe gehört, dass es sie kaum mehr gibt. Die<br />

wenigen Familien leben als Landarbeiter auf den Farmen.<br />

Dieses Bild von Namibia ist ein Ergebnis deutscher<br />

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:<br />

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Heinrich.<br />

Kolonialpolitik.<br />

Ulrich Heinrich (FDP):<br />

Die deutschen Kolonialherren haben Ende des Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-<br />

19. Jahrhunderts der dortigen Bevölkerung das Land gelegen! Wir gedenken heute eines traurigen Ereignisses in<br />

nommen und an die deutschen Siedler verteilt. Viel Land der deutsch-namibischen Geschichte, nämlich des Auf-<br />

ist noch heute in den Händen von Siedlern aus Europa standes der Hereros und Nama gegen die Kolonialmacht<br />

bzw. aus Deutschland. Die großen Farmen sind nur zu Deutschland und dessen Niederschlagung vor 100 Jah-<br />

einem ganz geringen Anteil in den Händen von Schwarren. Besonders schlimm war die billigende Hinnahme,<br />

zen. Als sich die Hereros, die dort zu Hause waren und dass ganze Bevölkerungsgruppen vernichtet worden<br />

denen das Land genommen wurde, vor 100 Jahren auf- sind. Deshalb dürfen wir die blutige Niederschlagung<br />

lehnten, haben die Deutschen gegen dieses Volk und ge- der Aufstände nicht vergessen.<br />

gen das Volk der Nama, die sich anschließend erhoben<br />

haben, einen Vernichtungskrieg geführt.<br />

Wir gedenken heute hier im <strong>Bundestag</strong> der Opfer unter<br />

den Hereros und Nama. Als ich bei meiner letzten<br />

Ich möchte nur ein Zitat über den Hintergrund und Afrikareise in Ruanda war und in Kigali die Gedenk-<br />

den Auftrag der damaligen Kriegsführung verlesen. stätte besucht habe, die zum 10. Jahrestag des Genozids<br />

Der damalige oberkommandierende deutsche General- errichtet worden ist, war ich erschüttert, weil ich durch<br />

leutnant von Trotha hat am 4. November 1904 dazu er- sehr eindeutige Bilder genau an diese Taten und die daklärt<br />

– ich zitiere –:<br />

malige Situation erinnert worden bin. Das hat mich tief<br />

Ich kenne genügend Stämme in Afrika. Sie gleichen<br />

beeindruckt.<br />

(B)<br />

sich alle in dem Gedankengang, dass sie nur der<br />

Gewalt weichen. Diese Gewalt mit krassem Terro-<br />

Namibia ist der jüngste Staat Afrikas, gegründet<br />

1990. Deutschland spielte damals eine entscheidende<br />

(D)<br />

rismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war Rolle bei der Unabhängigkeit Namibias, deren Prozess<br />

und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständi- fast elf Jahre gedauert hat. Die Resolution 435, die auch<br />

schen Stämme mit Strömen von Blut.<br />

durch die intensive Unterstützung des damaligen Außen-<br />

Das war der Auftrag, der damals an die deutschen Truppen<br />

ergangen ist.<br />

ministers Hans-Dietrich Genscher zustande kam und<br />

nach quälenden Verhandlungen von den Vereinten Nationen<br />

verabschiedet worden ist, hat die Grundlage dafür<br />

Die Deutschen haben nicht nur einen Vernichtungs- gelegt. Wir bekräftigen heute die besondere Verantworkrieg<br />

geführt. Sie haben die ersten Konzentrationslager tung für die Geschichte, aber auch die besondere Ver-<br />

der deutschen Geschichte – es waren fünf – eingerichtet. pflichtung in der Gegenwart und in der Zukunft.<br />

45 Prozent der Insassen haben die Konzentrationslager<br />

nicht überlebt. Von den 80 000 Hereros, die vor Beginn<br />

des Krieges gezählt worden waren, haben circa 15 000<br />

den Vernichtungskrieg überlebt. Von den circa<br />

20 000 Nama waren es circa 9 000.<br />

Dieses wird durch die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und ganz besonders in der Entwicklungszusammenarbeit<br />

deutlich. Um nur eine Zahl zu nennen:<br />

In den Jahren seit 1990 ist Hilfe in Höhe von etwa<br />

500 Millionen Euro in dieses Land geflossen. Das ist<br />

An diese deutschen Taten erinnern wir uns heute. Wir eine beachtliche Summe und unterstreicht die Richtig-<br />

verabschieden heute diesen Antrag. Ich bitte um Ihre Zukeit unserer damaligen Entscheidung. Wir wollen und<br />

stimmung, weil wir unser Gedenken an dieses deutsche müssen in der heutigen Situation die Hilfe fortsetzen.<br />

Handeln vor 100 Jahren deutschen Delegationen, die<br />

zum Jahrestag der Schlacht am Waterberg nach Namibia<br />

fahren, mitgeben wollen. Wir wollen unsere Trauer und<br />

unser Bedauern gegenüber dem Volk der Hereros und<br />

der Nama und den anderen Völkern in Namibia zum<br />

Ausdruck bringen, und zwar ohne Wenn und Aber. Unsere<br />

politische und moralische Verantwortung für das,<br />

was in deutschem Namen dort geschehen ist, für diesen<br />

Vernichtungskrieg wollen wir übernehmen und durch<br />

den Deutschen <strong>Bundestag</strong> anerkennen. Um nicht weni-<br />

Ich möchte noch kurz – meine Redezeit von drei Minuten<br />

ist fast beendet – ein kritisches Wort zu dem heutigen<br />

Staat Namibia sagen. Mich erfüllt die Landreform<br />

mit Sorge, und wir müssen darüber, wie die Landreform<br />

durchgesetzt werden soll, kritische Betrachtungen anstellen.<br />

Das Prinzip des willigen Käufers und des willigen<br />

Verkäufers auf der Grundlage der Verfassung wird<br />

offensichtlich in einer Art und Weise interpretiert, die<br />

Fragen aufwirft.<br />

ger und nicht mehr geht es in diesem Antrag. Ich hätte Vor einiger Zeit wurden Farmer aufgefordert, ihre<br />

mir den Antrag anders gewünscht. Er ist sehr stark ver- Ländereien dem Staat anzubieten. Wer innerhalb von

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!