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Stenografischer Bericht: 114. Sitzung - Deutscher Bundestag

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Elvira Drobinski-Weiß<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 15. Wahlperiode – <strong>114.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10337<br />

(A) wanst“, „Fettsack“, „Schwabbelkuh“ – der Hohn der Al- rund 30 Milliarden Euro aus. Es besteht also ein drin- (C)<br />

tersgenossen kennt kaum Grenzen. Die Opfer solcher gender Handlungsbedarf. Durch ein bewussteres Ernäh-<br />

Beschimpfungen befinden sich in einem Teufelskreis, rungsverhalten ließen sich ernährungsbedingte Krank-<br />

denn Spott und soziale Ausgrenzung führen zu Minderheiten eindämmen und damit auch Mittel einsparen, die<br />

wertigkeitskomplexen und diese wiederum zu weiteren an anderer Stelle sinnvoll verwendet werden könnten.<br />

Fressattacken.<br />

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/<br />

Chips, Pommes, Hamburger, Schokoriegel und an-<br />

DIE GRÜNEN)<br />

dere Süßigkeiten – alles zu süß und zu fett. Von allem zu<br />

viel wird wahllos heruntergeschlungen. Viele dieser Kinder<br />

haben kein Verhältnis zum Essen, zur Nahrung und<br />

damit auch zu ihrem Körper: Sie essen nicht, weil sie<br />

Hunger haben, sondern sie stopfen in sich hinein, den<br />

Wir müssen unsere Kinder und vor allem deren Eltern<br />

– das ist mir in den Beiträgen heute immer viel zu kurz<br />

gekommen – für das Thema „gesunde Ernährung“ sensibilisieren.<br />

Wir müssen sie über die fatalen Folgen eines<br />

falschen Essverhaltens aufklären. Dies ist natürlich, wie<br />

ganzen Tag lang, einfach so nebenher. Nur noch in weni- schon vielfach gefordert, auch eine wichtige Aufgabe<br />

gen Familien wird gemeinsam gegessen. Viele dieser der Kindergärten und Schulen. Dies ist aber auch eine<br />

übergewichtigen Kinder ernähren sich unbeaufsichtigt in gesamtgesellschaftliche Aufgabe.<br />

Burger- und Imbissketten. Wann sie wirklich hungrig<br />

sind und was ihr Körper braucht, um sich wohl zu fühlen,<br />

dafür haben diese Kinder jedes Gefühl verloren. Ein<br />

so gestörtes Körpergefühl spiegelt sich auch in der Freizeitgestaltung<br />

der Kinder und Jugendlichen wider:<br />

Fernsehen und mit dem Computer spielen – das ist bequem,<br />

da ist ein zu schwerer, unbeweglicher Körper<br />

auch nicht im Weg. Bewegung dagegen, Sport, das ist<br />

anstrengend und da sehen dann auch alle, wie dick und<br />

unbeweglich man ist.<br />

In unseren Antrag, den wir heute hier einbringen, sind<br />

all diese Überlegungen mit eingeflossen. Zumindest ein<br />

Ziel ist auch dank der Bemühungen von Ministerin<br />

Künast um das Thema „gesunde Ernährung“ bereits erreicht<br />

worden: Die Medien sind aufmerksam geworden.<br />

Am 2. Juni 2004 erschien ein „Stern“-Artikel mit dem<br />

Titel: „Generation XXL“. Im April gab es im ZDF drei<br />

Sendungen unter dem Titel „Dicke Kinder – gefährliche<br />

Zukunft?“. „Geo“ hat ebenso wie „Die Zeit“ darüber berichtet.<br />

Das heißt, die <strong>Bericht</strong>erstattungen über unge-<br />

Dicke Kinder sind arme Kinder, dies stimmt im doppelten<br />

Sinn: Sie sind arm, weil sie gehänselt und ausgesunde<br />

Ernährungsgewohnheiten und ihre Folgen nehmen<br />

zu.<br />

grenzt werden, und sie sind arm, weil sie eher sozial Unser Ziel muss es sein, den Trend zum Übergewicht<br />

schwachen Strukturen entstammen. Die ohnehin knap- durch Ernährungsaufklärung abzuschwächen und<br />

pen Mittel fließen dann meist nicht in gesunde – weil möglichst umzukehren. Bei diesem Ziel sind wir uns si-<br />

(B)<br />

letztendlich doch teurere – Lebensmittel. Die Kinder<br />

werden sich selbst überlassen, nicht beaufsichtigt, nicht<br />

zu gesundem Essverhalten oder einer aktiven Freizeitgecher<br />

alle einig. Deshalb bitte ich Sie, liebe Kolleginnen<br />

und Kollegen, unsere Initiativen zum Erreichen dieses<br />

Ziels über alle Fraktionsgrenzen hinaus zu unterstützen.<br />

(D)<br />

staltung angeleitet. Diese armen Kinder sind aber zugleich<br />

„reich“: Sie bekommen viel Taschengeld, das sie<br />

dann für Pommes und Süßigkeiten ausgeben.<br />

Pommes und Hamburger ersetzen kein Mittagessen.<br />

Genauso wenig sind Süßwaren und Knabberartikel Lebensmittel<br />

im eigentlichen Sinne des Wortes, nämlich<br />

Falsche Ernährung verursacht Krankheiten – wir haben<br />

es vorhin vielfach gehört –: Bluthochdruck, Zuckerkrankheit,<br />

Gefäßverkalkung, Gelenkerkrankungen, erhöhte<br />

Cholesterinwerte, bis hin zum Herzinfarkt reichen<br />

die gesundheitlichen Folgen. Neue Studien zeigen zu-<br />

Mittel zum Leben. Wäre es nicht eine Überlegung wert,<br />

ob ein ungesundes Essverhalten nicht auch finanziell unattraktiver<br />

gestaltet werden sollte? Ist es gerechtfertigt,<br />

dass Süßwaren und Knabberartikel mit dem ermäßigten<br />

Umsatzsteuersatz von 7 Prozent besteuert werden?<br />

dem auch ein erheblich erhöhtes Krebsrisiko, insbeson- (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das bespredere<br />

des Krebses der Speiseröhre und des Dickdarms, chen Sie einmal mit Ihrem Finanzminister!)<br />

gerade bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen.<br />

Solche Krankheiten können bei ihnen keine Alterssymptome<br />

sein, worauf Frau Ministerin Künast vorhin schon<br />

in sehr dramatischer Weise hingewiesen hat.<br />

Schließlich hat der Gesetzgeber bei der Einführung der<br />

Umsatzsteuer nach dem Mehrwertsteuersystem zum<br />

1. Januar 1968 entschieden, dass fast alle Nahrungsmittel<br />

– ausgenommen die meisten Getränke – aus „sozial-<br />

Übergewicht ist nicht allein ein deutsches Problem.<br />

Über 1 Milliarde übergewichtige Erwachsene und<br />

17 Millionen übergewichtige Kinder weltweit meldet die<br />

Weltgesundheitsorganisation, WHO, in ihrem jüngsten<br />

<strong>Bericht</strong> über globale Strategien der Ernährung. Sie<br />

spricht von einer Epidemie, und zwar einer Besorgnis erpolitischen<br />

Erwägungen“ mit dem ermäßigten Satz besteuert<br />

werden. Was damals Sinn machte, ist vielleicht<br />

nicht mehr aktuell. Solche „sozialpolitischen Erwägungen“<br />

könnten gute Gründe dafür sein, ungesunde Nahrungsmittel<br />

finanziell unattraktiver und gesunde dafür<br />

attraktiver zu machen.<br />

regenden Epidemie.<br />

Auch in anderen Ländern wird über solche Maßnah-<br />

„Dicke Kinder kosten die Kassen 30 Milliarden<br />

Euro“ – so titelte die „Welt am Sonntag“ Ende Februar.<br />

Durch falsche Ernährung verursachte Krankheiten<br />

sind eben auch ein Kostenfaktor für das deutsche Gemen<br />

nachgedacht. In Australien – vorhin wurden auch<br />

schon andere Länder genannt – ist eine Fettsteuer im Gespräch,<br />

eine Sonderabgabe auf Pommes, Hamburger, Süßigkeiten<br />

und Süßgetränke.<br />

sundheitssystem. Für die Behandlung dieser Krankhei- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Enzymsteuer!<br />

ten geben die gesetzlichen Krankenkassen jährlich also<br />

Künaststeuer!)

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