Stenografischer Bericht: 114. Sitzung - Deutscher Bundestag
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10396 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 15. Wahlperiode – <strong>114.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004<br />
Gustav Herzog<br />
(A) SPD-Fraktion den Zielkonflikt in zwei Punkten beson- umzugehen, zum Beispiel durch Deiche. Sie haben ge- (C)<br />
ders abwägen.<br />
lernt, sich zu wehren, das Wasser zu bändigen und sogar<br />
Erstens. Die zwingende, flächendeckende Ausweisung<br />
der Überschwemmungsgebiete nach HQ 100 ist<br />
mit sehr viel Aufwand verbunden. Somit könnte die Wirkung<br />
verpuffen.<br />
zu nutzen. So wurden schon in der Antike Überschwemmungsgebiete<br />
für den Ackerbau genutzt. In Flussebenen<br />
finden wir nach wie vor die wertvollsten Böden; dort<br />
wird seit Jahrhunderten Landwirtschaft betrieben. Wasserbau<br />
und Landwirtschaft gingen stets Hand in Hand.<br />
Zweitens. Wir sind der Auffassung, die Nutzungsbeschränkungen,<br />
zum Beispiel ein Ackerbauverbot oder<br />
ein Grünlandgebot, sollten auf die tatsächlich relevanten<br />
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Nicht bei den<br />
Grünen!)<br />
Flächen konzentriert werden. In der Anhörung wird sich Aber, meine Damen und Herren, was sind schon fünf-<br />
sicherlich ergeben, ob es sich um Erosionsflächen oder tausend Jahre Wasserbaukultur gegen das Wissen unse-<br />
Abflussbereiche handelt.<br />
res mit allen Wassern gewaschenen Umweltministers?<br />
Unstrittig ist, dass die Kontamination von Boden und<br />
(Beifall bei der CDU/CSU)<br />
Wasser ein riesiges Problem ist, das wir in diesem Zusammenhang<br />
zu lösen haben.<br />
Sie, Herr Minister, präsentierten der verdutzten Öffentlichkeit<br />
eigene, völlig neue Erkenntnisse: Für den Hoch-<br />
An der Erforderlichkeit von Hochwasserschutzmaßwasserschutz müsse ein Ackerbauverbot her, und zwar<br />
nahmen besteht kein Zweifel. Noch weniger Zweifel be- bis Ende 2012; über Entschädigungen verlieren Sie kein<br />
steht hier im Hause an der Schwierigkeit der Umsetzung. Wort.<br />
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, Herr Kollege<br />
Petzold, dass die Länder konträre Positionen beziehen.<br />
Unter den Vorschlägen des Bundesrates befinden sich<br />
aber auch zustimmungsfähige, gute Ansätze. Es ist rich-<br />
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Enteignung!)<br />
Man wolle den Bauern nichts Böses, erklärten Sie bei<br />
der Vorlage des Gesetzentwurfs,<br />
tig, dass das BMU das Land Rheinland-Pfalz hervorhebt<br />
und lobt. Dort wurde sehr viel und vielfältiges geleistet.<br />
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Nichts Gutes!)<br />
Viele wichtige Maßnahmen zum Hochwasserschutz, ins- aber zukünftig habe Grünlandnutzung im Überschwembesondere<br />
am Rhein, stehen kurz vor der Vollendung. mungsgebiet erste Priorität. Sie wollen den Bauern also<br />
Deswegen sollten wir die deutlichen Hinweise des Lan- nichts Böses – so, so. Ihr Gesetzentwurf spricht aber eine<br />
des Rheinland-Pfalz zu diesem Gesetzentwurf auch sehr andere Sprache: ideologisch, unwissenschaftlich, unhalt-<br />
ernst nehmen.<br />
bar.<br />
(B) Mir ist es wichtig, zu erwähnen, dass der Erforder- Hochwasserschutz muss sein. Darüber sind wir alle (D)<br />
lichkeitsgrundsatz, wie er im rheinland-pfälzischen Gesetz<br />
steht, sicherlich eine gute Möglichkeit bietet, die<br />
Kräfte zu konzentrieren. Ich schlage vor, diese Regelung<br />
in unser Gesetz zu übernehmen. Das wird sicherlich eine<br />
der wichtigen Fragen bei der Anhörung sein.<br />
Mit einem Gesetz werden wir kein Hochwasser verhindern<br />
können, aber wir können die Anzahl und das<br />
Ausmaß der Hochwasser verhindern und den Schaden<br />
mindern. Ich glaube, das ist das, was die Menschen von<br />
uns erwarten.<br />
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.<br />
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/<br />
DIE GRÜNEN)<br />
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:<br />
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin<br />
Gitta Connemann, CDU/CSU-Fraktion.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU)<br />
Gitta Connemann (CDU/CSU):<br />
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Well<br />
nich will dieken, mutt wieken. Für die nicht Plattdeutschkundigen<br />
unter Ihnen: Wer nicht deichen will,<br />
muss weichen. Nach dieser Weisheit hat man bei uns im<br />
Friesischen seit vielen hundert Jahren gelebt. Seit Urzeiten<br />
gibt es Fluten, gibt es Hochwasser. Wasser birgt Gefahren.<br />
Im Regelfall wissen die Menschen aber damit<br />
uns einig. Das wissen wir aber nicht erst seit den verheerenden<br />
Flutkatastrophen des Jahres 2002. Herr Kollege<br />
Herzog, diese hätten – zumindest in diesem Ausmaß –<br />
vermieden werden können, wenn die vorhandenen Regelungen<br />
– wie für die Ausweisung von Bauflächen – beachtet<br />
worden wären. Deshalb hat zum Beispiel der<br />
Deutsche Städte- und Gemeindebund festgestellt, dass es<br />
keiner neuen Vorschriften bedarf.<br />
(Gustav Herzog [SPD]: Dann wird auch weiterhin<br />
nichts gemacht!)<br />
– Jedenfalls brauchen wir keine Vorschriften, wie sie die<br />
Bundesregierung jetzt plant. Denn ein wirksamer Hochwasserschutz<br />
wird damit nicht erreicht, aber die Existenz<br />
unserer landwirtschaftlichen Betriebe wird damit gefährdet,<br />
und dies ohne jede Grundlage.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU)<br />
Bereits rechtlich ist dieser Entwurf unhaltbar. Das Urteil<br />
des Bundesrates lautet deswegen: nicht verfassungskonform.<br />
Das repressive Ackerbauverbot stellt einen<br />
verfassungswidrigen Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum<br />
dar. Viele Mitglieder der Koalition, auch viele<br />
von Ihnen, die heute anwesend sind, teilen diese Ansicht.<br />
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Dürfen es aber<br />
nicht sagen!)<br />
Nicht umsonst titelte die „Welt“ am 10. Juni 2004: „Koalitionskrach<br />
um Trittins Gesetz zum Hochwasser-