Stenografischer Bericht: 114. Sitzung - Deutscher Bundestag
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10494 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 15. Wahlperiode – <strong>114.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004<br />
(A) Länder aber eine klare Zwischenperspektive vor einer wesentlichen Verbesserung der Durchführung der um- (C)<br />
vollständigen Mitgliedschaft bieten, die auch für diese fangreichen europäischen Hilfe eingebracht. Grundge-<br />
Länder erkennbare Erfolgserlebnisse produziert. Diese danke ist, dass wir ein wesentlich besseres Monitoring,<br />
Strategie muss die Europäische Union jetzt definieren. eine wesentlich bessere Koordination brauchen. Es gibt<br />
Drittens. Die künftige Förderung in den südosteuropäischen<br />
Ländern sollte sich stärker an der regionalen<br />
eine Organisation, die in der Region bewiesen hat, dass<br />
sie das sehr gut kann, die EAR in Thessaloniki.<br />
Kooperation zwischen diesen kleinen und kleinsten Län- Die Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsdern<br />
orientieren; denn ohne ein Wachsen dieser Koopekoalition lehnen diesen Vorschlag stereotyp ab. Sie weiration<br />
ist eine langfristige friedliche Entwicklung dieser gern sich, neue Wege zu denken. Das bringt uns aber<br />
Region nicht vorstellbar.<br />
nicht weiter, das bringt die Menschen auf dem Balkan<br />
Es liegt in unserem zwingenden Interesse, dass die<br />
südosteuropäischen Länder möglichst rasch Perspekti-<br />
nicht weiter, das ist auch auf die Dauer unseren Wählern<br />
nicht zu verkaufen.<br />
ven für die Teilhabe am wirtschaftlichen Fortschritt in Wir haben mit Thessaloniki ein starkes politisches<br />
Europa erkennen können. Dazu müssen wir uns darauf Commitment für die Staaten der Region abgegeben; das<br />
einstellen, dass wir noch für eine lange Zeit erheblichen ist richtig. Dieses Commitment muss aber mit Leben ge-<br />
finanziellen und technischen Aufwand für die wirtfüllt werden. Wir müssen neue Wege gehen, wir müssen<br />
schaftlichen Aufbaumaßnahmen betreiben müssen. Dies<br />
gilt ebenso für den militärischen und polizeilichen Ein-<br />
neu nachdenken. Fangen Sie endlich an, mitzudenken.<br />
satz. Korrekturen der jetzigen Strategie, um sie auch<br />
langfristig stabil zu gestalten, sind allerdings jetzt notwendig.<br />
Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen<br />
Amt: Ziel der Südosteuropapolitik der Bundesregierung<br />
ist die langfristige und nachhaltige Stabilisierung der<br />
Gesamtregion. Dies setzt ein massives und andauerndes<br />
Dr. Rainer Stinner (FDP): Wenn man den <strong>Bericht</strong> Engagement voraus. Die Bundesregierung setzt dabei<br />
der Bundesregierung über die Ergebnisse ihrer Bemü- auf den Prozess der Europäisierung, zu dem es keine Alhungen<br />
liest, könnte man der Meinung sein, die Welt auf ternative gibt. Zur Sicherung der erreichten Fortschritte<br />
dem Balkan sei doch in Ordnung, alles sei auf das Beste und Verhinderung neuer Gewaltausbrüche ist vorerst<br />
geordnet.<br />
auch noch der Einsatz militärischer und polizeilicher<br />
Jeder, der die genauen Verhältnisse kennt, weiß, dass<br />
das nicht der Wahrheit entspricht. Trotz vieler Anstren-<br />
Mittel notwendig. Dies haben uns die März-Ereignisse<br />
im Kosovo erneut deutlich vor Augen geführt.<br />
(B)<br />
gungen, trotz großer Geldleistungen, trotz vieler Programme<br />
sind die Dinge auf dem Balkan nicht geordnet,<br />
Trotz des Rückschlags im Kosovo fällt die Gesamtbilanz<br />
für die Region positiv aus. Demokratische Instituti-<br />
(D)<br />
gibt es nicht die Fortschritte, die wir alle erwartet haben onen und Verfahren sind inzwischen liberal verankert.<br />
und die dringend notwendig sind.<br />
Die Sicherheitslage hat sich weiter gebessert, sodass bei-<br />
Schon die Überschrift des <strong>Bericht</strong>es der Bundesregierung<br />
ist inkorrekt. Es wird suggeriert, es gäbe eine politische<br />
und ökonomische Gesamtstrategie für die Region.<br />
Eine solche Gesamtstrategie gibt es aber nicht.<br />
spielsweise die Militärpräsenz in Mazedonien beendet<br />
werden konnte. Die Besonnenheit, mit der in der Nachbarschaft<br />
des Kosovo auf die März-Unruhen reagiert<br />
wurde, ist ein Zeichen zunehmender regionaler Stabilität.<br />
Es gibt einzelne Instrumente, die zumeist gut gemeint<br />
sind, die aber dringend der Überarbeitung bedürfen. Es<br />
gibt aber keine Abstimmung aller Instrumente zur Förderung<br />
der Region. Es gibt kein Controlling und kein<br />
Monitoring. Es gibt keine Beurteilung der Effektivität<br />
und der Effizienz der Instrumente. Das gilt insbesondere<br />
für den so hoch gelobten Stabilitätspakt. Auf meine<br />
schriftliche Frage vom November 2003 nach der Höhe<br />
Oder denken wir an Bosnien und Herzegowina: Lord<br />
Ashdown, der Hohe Repräsentant der internationalen<br />
Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, hat kürzlich<br />
anlässlich eines Deutschlandbesuchs darauf hingewiesen,<br />
dass auch Bosnien und Herzegowina ein Beispiel<br />
erfolgreicher europäischer Friedens- und Sicherheitspolitik<br />
sind, an der auch Deutschland einen großen Anteil<br />
hat.<br />
der Zahlungen der Geberländer des Stabilitätspaktes ant- Aber der Übergang zu stabilen politischen und wirtwortete<br />
die Bundesregierung wörtlich: „Eine kontinuierschaftlichen Verhältnissen ist keineswegs überall geliche<br />
Erhebung der Geberleistungen für Projekte im sichert. Es geht jetzt um die Verstetigung der Reform-<br />
Rahmen des Stabilitätspaktes existiert nach Kenntnis der prozesse; es geht darum, Demokratie und Rechtsstaat in<br />
Bundesregierung nur im Infrastrukturbereich.“ Deutsch- den Ländern fest zu verankern und funktionsfähige staatland<br />
hat seit 2000 über 1 Milliarde Euro für Projekte liche Strukturen und Institutionen zu schaffen, und es<br />
ausgegeben und weiß nicht, ob andere Geber vielleicht geht insbesondere auch darum, auf die wirtschaftlich-<br />
die gleichen Projekte finanziert haben. Kein Wunder, sozialen Probleme eine Antwort zu finden und die orga-<br />
dass der Fortschritt auf dem Balkan ausbleibt.<br />
nisierte Kriminalität entschlossen zu bekämpfen.<br />
Heute und morgen findet ein großes Balkan-Forum Der Wunsch, möglichst bald der EU beizutreten, hat<br />
unter dem Motto: „Rethinking the Balkans“ statt. Ein sich für südosteuropäische Staaten als der entscheidende<br />
solches Rethinking ist dringend geboten. Da darf die Motor für Reformen erwiesen. Das Tempo der Annähe-<br />
Bundesregierung auch ruhig mitdenken. Aber da kommt rung an die EU ist unterschiedlich, das Ziel aber unbe-<br />
zu wenig. Wir haben einen ganz konkreten Vorschlag zur stritten. Die EU steht zu der Beitrittsperspektive, die sie