Stenografischer Bericht: 114. Sitzung - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 15. Wahlperiode – <strong>114.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10493<br />
(A) Deutschland kommt in der Region eine besondere che, politische und soziale Entwicklung dieser Länder zu (C)<br />
Verantwortung zu. Wir sind für die meisten Balkanstaa- entwickeln, vollständig bewährt.<br />
ten das wichtigste bilaterale europäische Partnerland,<br />
zählen zu den prominentesten Geberländern und fast<br />
3 800 deutsche Soldaten flankieren in Bosnien und im<br />
Kosovo die politischen Entwicklungsprozesse. Die Bundesregierung<br />
muss sich daher besonders bei der Unterstützung,<br />
Weiterführung, Gestaltung und Optimierung<br />
der politischen Prozesse der internationalen Gemeinschaft<br />
einbringen. Die Bundesregierung präzisiert bis-<br />
Bulgarien zum Beispiel hat vorgestern die Beitrittsverhandlungen<br />
zur Europäischen Union erfolgreich abschließen<br />
können. Somit ist der Beitrittswunsch Bulgariens für<br />
2007 realistisch. Rumänien ist mit den Verhandlungen<br />
noch nicht so weit, aber der Entwicklungstrend ist eindeutig.<br />
Für Kroatien und Mazedonien ist die EU-Perspektive<br />
zumindest greifbar.<br />
lang nicht ihre eigenen konzeptionellen Vorstellungen Zum anderen sind es im Wesentlichen die westlichen<br />
für die politischen Entwicklungsprozesse für die Region Balkanländer mit einem enormen Entwicklungsrück-<br />
und die einzelnen Länder. Welche Vorstellungen hat die stand. Sie erwirtschaften nach Einschätzung einer Studie<br />
Bundesregierung hier in den verschiedenen Gremien der der Stiftung für Wissenschaft und Politik gerade einmal<br />
internationalen Gemeinschaft eingebracht, um die politi- 7 Prozent des durchschnittlichen europäischen Bruttososchen<br />
Prozesse in diesen Ländern dynamischer in eine<br />
stabilisierende Richtung zu lenken?<br />
zialproduktes. Darüber hinaus ist die Staatlichkeit einiger<br />
dieser Länder zumindest fragwürdig. Für diese Länder ist<br />
An der Bundesregierung ist es auch, sich verstärkt um<br />
die Abstimmung bzw. Komplementarität der verschiedenen<br />
Programme der internationalen Gemeinschaft zu<br />
kümmern, die aufgrund der stockenden politischen und<br />
wirtschaftlichen Reformprozesse möglicherweise verbesserungswürdig<br />
ist. Parallelstrukturen müssen abgebaut<br />
und zwischen den einzelnen Wiederaufbaustrukturen<br />
deutlich mehr Kohärenz geschaffen werden.<br />
Die Stabilisierung der Region des Balkans bleibt essenzielle<br />
europäische Aufgabe und trifft damit unser aller<br />
Verantwortung.<br />
die EU-Mitgliedschaft auf lange Sicht noch nicht möglich.<br />
Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs von Europäischer<br />
Union und den westlichen Balkanländern vor<br />
einem Jahr in Thessaloniki hat aber auch für diese Länder<br />
außer einer leichten Erhöhung der Stabilitätspaktmittel<br />
ausschließlich die Beitrittsperspektive formuliert.<br />
Dies ist für diese Länder aber noch keine ausreichende<br />
Strategie. Denn mit der Beitrittsperspektive allein kann<br />
diesen Ländern kein ausreichender Anreiz für eine stabile<br />
Entwicklung geboten werden. Hier muss die Europäische<br />
Union beginnen umzusteuern. Dafür drei Empfehlungen:<br />
(B)<br />
Michael Stübgen (CDU/CSU): Dass die Situation in<br />
Südosteuropa so ist, wie sie sich gegenwärtig darstellt,<br />
ist eine Folge der insgesamt erfolgreichen Politik der internationalen<br />
Gemeinschaft, der Europäischen Union<br />
und auch der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist aber<br />
auch – und darauf sei an dieser Stelle hingewiesen – der<br />
Erfolg von vielen tausend Menschen, die mit hohem Engagement,<br />
persönlichen Entbehrungen, teilweise auch<br />
unter Einsatz ihres Lebens in diesen Ländern seit vielen<br />
Jahren zur Friedenssicherung und für den Wiederaufbau<br />
arbeiten. Diesen Menschen möchte ich an dieser Stelle<br />
ausdrücklich Dank sagen. So unbefriedigend die gegenwärtige<br />
Situation auch ist, so hat sich doch die Balkanstrategie<br />
der internationalen Gemeinschaft und der Europäischen<br />
Union bis jetzt insofern bewährt, als es keinen<br />
Krieg mehr auf dem Balkan gibt und ethnische Auseinandersetzungen<br />
zurückgedrängt werden konnten.<br />
Erstens. Der Stabilitätspakt Südosteuropa hat sich insgesamt<br />
als ein sehr erfolgreiches Instrument erwiesen,<br />
diesen Ländern schnellstmöglich Wiederaufbauhilfe zu<br />
gewähren. Die Tatsache, dass in der mittelfristigen Finanzplanung<br />
des Bundes die Mittel für den Stabilitätspakt<br />
bis 2006 auslaufen, trägt nicht zu einer Investitionssicherung<br />
bei. Für den Einsatz der finanziellen Mittel<br />
haben sich aber auch Probleme durch die äußerst komplexe<br />
Struktur des Stabilitätspaktes ergeben. Wichtig ist<br />
jetzt, dass spätestens für die Finanzperiode ab 2007 die<br />
Hilfsmaßnahmen der Europäischen Union und der EU-<br />
Mitgliedstaaten – die bisher im Rahmen des Stabilitätspaktes<br />
erfolgt sind – vollständig in die Struktur der EU<br />
integriert und die Aufgaben einer Agentur übertragen<br />
werden. Hierfür muss auch – und zwar für die gesamte<br />
Finanzperiode bis 2013 – eine eindeutige Finanzierungssicherheit<br />
geschaffen werden. Damit verbunden werden<br />
sollten aber auch einheitliche Kriterien für die Vergabe<br />
der Förderung. Ich denke, dass in diesem Zusammenhang<br />
eine Initiative der Bundesregierung erforderlich<br />
wäre.<br />
(D)<br />
Wenn wir uns allerdings an dieser Stelle über die aktuelle<br />
Situation in Südosteuropa unterhalten, müssen wir<br />
auch die Defizite analysieren und notwendige Veränderungen<br />
unserer Politik diskutieren. Die Situation der einzelnen<br />
Länder in Südosteuropa ist extrem differenziert.<br />
Sie teilen sich aber in zwei Entwicklungsstufen: Zum<br />
einen sind das die Länder mit einem gefestigten Staatsgebiet,<br />
mit einer kontinuierlichen Entwicklung, bis hin<br />
zu einer sich klar abzeichnenden Beitrittsperspektive zur<br />
Europäischen Union. Dies sind Bulgarien, Rumänien,<br />
Kroatien und auch bedingt Mazedonien. In diesen Ländern<br />
hat sich die Politik der EU, durch die Vermittlung<br />
einer klaren Beitrittsperspektive, verbunden mit der Aufnahme<br />
von Beitrittsverhandlungen, diese wirtschaftli-<br />
Zweitens. Der Motor für eine stabile Entwicklung hin<br />
zu Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftlicher Entwicklung und<br />
sozialem Wohlstand kann aber nur in diesen Ländern aktiviert<br />
werden. Und dies geht – wie es alle mittel- und<br />
osteuropäischen Länder gezeigt haben – nur, wenn in der<br />
politischen Klasse und in der Bevölkerung die Überzeugung<br />
wächst, dass sie am wirtschaftlichen Fortschritt der<br />
Europäischen Union einschließlich einem entstehenden<br />
Wettbewerb um die schnellstmögliche Integration teilhaben<br />
können. Die Europäische Union muss für diese