<strong>Berliner</strong> <strong>Bildungsprogramm</strong> für <strong>die</strong> <strong>offene</strong> <strong>Ganztagsgrundschule</strong>, Entwurf vom 6.3.2007 100Kohorst: Beide Seiten sagen, lasst uns zusammen gucken, wie wir das Problem, das amOrt Schule jetzt auftaucht, gemeinsam lösen können. Schule, Schulstation, ergänzenderNachmittag – das ist ein gemeinsames Projekt. Da denken wir schon nicht mehr – der istbei uns und der ist da angestellt.Noch liegt der Schäfersee zwischen der Schule und dem Ort für <strong>die</strong> ergänzende Bildung,Erziehung und Betreuung. Das bedeutet Wege, kostet Zeit. Wie sorgen Sie dennoch dafür,dass sich Lehrer/innen und Erzieher/innen durch den jeweils anderen bereichert fühlen?Kohorst: Wir arbeiten weiter an unserem Konzept für <strong>die</strong> Ausgestaltung der <strong>offene</strong>n Ganztagsschule.Vor allem machen wir uns Gedanken, wodurch sich Erzieher und Lehrer mitihren unterschiedlichen Kompetenzen zugunsten der Kinder weiterentwickeln können. Alsein unterstützendes Instrument haben wir dafür in gemeinsamen Runden einen Beobachtungsbogenentworfen. Der hilft uns, <strong>die</strong> Kommunikation zwischen beiden anzustiften. Dawird z.B. nach der sozialen Kompetenz der Kinder gefragt: Kann es seine Wünsche zumAusdruck bringen, sich einfühlen, Regeln akzeptieren? Dann zur Sachkompetenz und zumLeistungsverhalten: Wie lernt es in den einzelnen Fächern? Was kann es? Aber auch solcheSachen: Ist das Kind morgens pünktlich, ausgeschlafen? Was wissen wir über daskindliche Netzwerk? Erzählt es von seiner Familie? Ist es stolz auf seine Eltern? Kennt essich in der Umgebung aus?Die Antworten bringen sehr verschiedenes Wissen zum Ausdruck. Möglicherweise hat eineLehrerin oder ein Lehrer nie darauf geachtet, ob ein Kind alleine mit dem Bus fährt odernicht. Oder ob es stolz auf seine Eltern ist. Die Erzieherinnen bewegen sich in einem anderenRahmen. Da geht es viel mehr um Selbstständigkeit, den Kontakt zu den Eltern. Umgekehrtweiß eine Erzieherin vielleicht zum Leistungsverhalten wenig. Bringt das Kind allseine Sachen mit?Lütke: Wir haben <strong>die</strong>sen Beobachtungsbogen in einer ersten und einer zweiten Klasseausprobiert. Das war spannend. Meist ist es noch so, dass wir <strong>die</strong> Kinder im Blick haben,<strong>die</strong> negativ auffallen. Über <strong>die</strong> wird auch geredet, auch zwischen Lehrern und Erziehern,wenn sie sich kurz sehen oder zu unserem Jour fix der Schulstation. Die Stillen aber fallenunter den Tisch. Das war unser Ausgangspunkt. Wir wollen allen Kindern gerecht werden.Und bei dem Testlauf merkten wir zugleich: Auch <strong>die</strong> Auffälligen haben andere Seiten, <strong>die</strong>wir bisher nicht so beachteten.Was fangen Sie mit dem dadurch gewonnen Wissen an?Kohorst: Unser Ziel ist es, jedes Kind gut durch den ganzen Tag zu begleiten. Wir habenwirklich Kinder, <strong>die</strong> kommen früh um acht und gehen abends um sechs. Für <strong>die</strong>se und alleanderen Kinder muss <strong>die</strong> <strong>offene</strong> Ganztagsschule vielfältige Angebote bereithalten: Siemüssen sich zurückziehen können und Anregung finden, und <strong>die</strong> Anregungen müssenverschiedener Art sein. Doch welches Kind braucht was? Wir wollen <strong>die</strong> Kinder am Nachmittagnicht einfach beschäftigen. Wenn ein Kind Bewegungsförderung braucht, soll es ineiner Gruppe landen, <strong>die</strong> ihm das bietet. Oder musikalische Anregung, Sprachförderungusw. Der Beobachtungsbogen hilft uns zu sehen, welche Kompetenzen ein Kind hat undwo es sich entwickeln sollte. Daraus muss eine sinnvolle Handlungsplanung entwickeltwerden. Wir haben dafür drei Bedarfsgruppen eingeteilt. Die Kinder in der ersten Bedarfsgruppebrauchen zusätzliche Anregung, sind aber auch in der Lage, anderen Kindern zuhelfen. D.h., das kann man von denen auch fordern. In Bedarfsgruppe zwei sehen wir <strong>die</strong>,<strong>die</strong> überall durchs Raster fallen. Die wollen wir befähigen, Angebote wahrzunehmen undbei <strong>die</strong>sen Kindern sollten wir wenigstens einmal im halben Jahr mit deren Eltern reden.Bei Kindern in der Bedarfsgruppe drei geht es nicht ohne einen intensiven monatlichenKontakt mit den Eltern, muss auch <strong>die</strong> Schulstation einbezogen werden...Praxis Praxis Praxis Praxis PraxisLütke: … oder wir brauchen Hilfe von außen.Kohorst: Erzieherinnen und Lehrer setzen sich gemeinsam Ziele, <strong>die</strong> ihnen im Alltag präsentsind. Sie sollen nicht nur ständig aus dem Gefühl heraus entscheiden, wie sie mit denKindern umgehen.
<strong>Berliner</strong> <strong>Bildungsprogramm</strong> für <strong>die</strong> <strong>offene</strong> <strong>Ganztagsgrundschule</strong>, Entwurf vom 6.3.2007 101Welche Auswirkungen hat das auf den Unterricht?Lütke: Es kann sein, dass Lehrer und Erzieher im Gespräch merken: Es wäre gut, einenSchüler am Vormittag ab und zu eine Runde um den Block laufen zu lassen, damit er sichwieder konzentrieren kann…Kohorst: … solche individuelle Lernvereinbarung gibt es bereits und noch mehr solcherVerabredungen sollen geschlossen werden. Dass, wenn <strong>die</strong> Schüler nicht mehr können,sie in <strong>die</strong> Schulstation oder in <strong>die</strong> verlässliche Ganztagsschule gehen, dort Entlastung finden- natürlich mit dem Ziel, in den Unterricht zurück zu gehen. Inzwischen wissen <strong>die</strong>Kinder und <strong>die</strong> Lehrer, dass <strong>die</strong> Angebote von Aufwind ihnen <strong>die</strong>nen, besser miteinander inKontakt zu sein. Übrigens auch <strong>die</strong> Eltern. Das haben wir uns ganz groß auf <strong>die</strong> Fahnengeschrieben: Elternzusammenarbeit.In welchen Runden besprechen Sie <strong>die</strong> Zusammenarbeit zwischen Lehrer/innen und Erzieher/innen?Kohorst: Jede Woche haben wir ein Schule-Hort-Treffen in der Schule.Lütke: Da geht es vor allem um aktuelle Fragen. Da ist <strong>die</strong> koordinierende Erzieherin dabei,ein Erzieher, ein Lehrervertreter, von Zeit zu Zeit <strong>die</strong> Erzieherinnen der verlässlichenHalbtagschule.Die konzeptionelle Runde findet bei Aufwind statt. Da sind <strong>die</strong> pädagogische Leiterin vonAufwind mit dabei, eine Erzieherin, eine Lehrervertreterin und ein Mitglied der erweitertenSchulleitung, wir beide…Kohorst: … auch Elternvertreter. Die Schulstation ist nicht dabei.Lütke: … der Coach.Kohorst: Wir haben einen Coach, der moderiert und uns unterstützt. Den bezahlt Aufwind.Wir treffen uns etwa einmal im Monat in <strong>die</strong>ser Konzeptrunde. Bereits bevor wir Träger derergänzenden Bildung, Erziehung und Betreuung wurden, haben wir gemeinsam das Hortkonzeptentwickelt. Das schreiben wir jetzt weiter. Die Schule entwickelt sich in RichtungKlippert-Modell-Schule. Das hat Auswirkung auf <strong>die</strong> Pädagogik der Lehrer, und das sollauch Auswirkung auf <strong>die</strong> Pädagogik der Erzieherinnen und Erzieher haben. Gern hättenauch sie an <strong>die</strong>sen Fortbildungen teilgenommen. Wir wollen uns verzahnen. Also müssenwir auch sehen, wo wir miteinander reden, neue Ideen aufnehmen und alle einbinden.Ein Knackpunkt ist: So etwas kostet Zeit, und wir bewegen uns in einem dynamischenFeld, wo viele Veränderungen gleichzeitig passieren. Für solche Prozesse müsste mansich mal zurücklehnen und Atem holen können.Lütke: Das ist nicht drin. Wenn man <strong>die</strong> Terminkalender derer sieht, <strong>die</strong> in den Rundensitzen, <strong>die</strong> sind übervoll.Kohorst: Ganz klar: Wir brauchten mehr Kooperationszeit!Praxis Praxis Praxis Praxis PraxisWelch Voraussetzungen braucht gelungene Kooperation?Lütke: Offenheit und Lust auf etwas Neues. Als ich einem Kollegen Schulleiter aus derNachbarschaft sagte, wir werden mit einem freien Träger kooperieren, meinte der: ‚Du bistdir aber auch im Klaren, dass du dann über <strong>die</strong> Erzieherinnen nicht das Sagen hast.’ Beisolchen Sätzen bin ich sprachlos. So spricht ein Machtmensch, der seinen Laden unterKontrolle haben will. Ich sehe, dass wir uns durch <strong>die</strong> Kooperation gegenseitig bereichern.Kohorst: Man braucht Ziele, <strong>die</strong> man gemeinsam erreichen will und man muss bereit sein,<strong>die</strong> eigenen Ressourcen dem anderen zur Verfügung zu stellen, ohne gleich zu rechnen.Natürlich müssen alle <strong>die</strong> Zusammenarbeit wollen. Sonst müsste man ständig um <strong>die</strong>seVerbindung kämpfen.