<strong>Berliner</strong> <strong>Bildungsprogramm</strong> für <strong>die</strong> <strong>offene</strong> <strong>Ganztagsgrundschule</strong>, Entwurf vom 6.3.2007 92Kooperation zwischen Lehrerinnen und ErziehernPaul Herklotz, 26 Jahre, Erzieher im <strong>offene</strong>n GanztagDie vier Lehrer/innen ‚meiner’ 25 Kinder lernte ich kennen, weil wir Erzieher/innen zu Beginndes Schuljahres verabredeten, <strong>die</strong> Kinder nach Unterrichtsschluss aus ihren Klassenräumenabzuholen. Bis heute schaue ich jeden Tag kurz vorbei, um wenigstens zu wissen,welche Laune in der Klasse herrschte. (Eine Weile nutzten wir „Verbindungshefte“ zwischenSchule und <strong>offene</strong>m Bereich. Da stand drin, was es Schönes und Ärgerliches amTag gab, wer fehlt und vor allem, welche Hausaufgaben auf sind. Das war eine Orientierung.Die Frage war nur: Wie kommen <strong>die</strong> Hefte in den Hort zurück. Zu mehr als einemGespräch zwischen Tür und Angel traf ich mich mit einer der Lehrerinnen, als wir den Beobachtungsbogenfür unsere neun ‚gemeinsamen’ Kinder ausprobierten. Ich kenne <strong>die</strong> Kindererst seit einem halben Jahr und beim Ausfüllen wurde mir zunächst erst einmal bewusst,welches von ihnen ich bisher nur erlebt hatte, ohne es wirklich beobachtet zu haben.Mit denen rede ich jetzt z.B. auf dem Weg von der Schule zum Hort. Doch zugleichhat der Fragebogen auch etwas im Kontakt mit der Lehrerin verändert. Wirklich Zeit für <strong>die</strong>Kooperation haben wir nicht. Dennoch verabreden wir uns seit dem hin und wieder, umgemeinsam zu überlegen: Wo steht ein Kind und wo stehen wir in unserer Beziehung zu<strong>die</strong>sem Kind! Wir sind dabei nicht immer einer Meinung und lassen das zu. Ich glaube z.B.dass einer der Jungen, der gegenwärtig ab und an über <strong>die</strong> Stränge haut, nicht mehrDruck, sondern mehr Anerkennung braucht. Ganz viel Annerkennung und Zuwendung fürdas, was er gut gemacht hat. Und kurz und deutlich ein Signal, für das, was wir nicht mögen.Was das verändert, beobachten wir gemeinsam – jeder an seinem Ort. Dann redenwir weiter.Christiane Uhlhorn, 49 Jahre, GrundschullehrerinMein Aha-Erlebnis hatte ich, als ich parallel zu dem Erzieher <strong>die</strong> Beobachtungsbögen für<strong>die</strong> neun Kinder ausfüllte, <strong>die</strong> für den <strong>offene</strong>n Ganztag angemeldet sind. Da gab es <strong>die</strong>Frage, ob <strong>die</strong> Kinder sich in ihrem Kiez auskennen und den Weg zur Schule alleine bewältigen.Das war mir nicht bewusst, dass das etwas über <strong>die</strong> Reife und Selbstständigkeit,auch <strong>die</strong> Kompetenz der Kinder sagt! Stolz allerdings bin ich, dass ich bis auf zwei Fragenbei zwei Kindern alle in dem mehrseitigen Papier beantworten konnte. Ich kenne <strong>die</strong> Kinderzwei Jahre, habe sie alle zu Hause besucht und mit ihnen gemeinsam intensiv <strong>die</strong> Umgebungder Schule erkundet. Dennoch: Der Fragebogen hilft uns, den Überblick zu behalten.Es gibt einfach Kinder, <strong>die</strong> viel Kraft fordern und andere, <strong>die</strong> sie brauchten und nicht kriegen,weil sie sich angepasst und freundlich verhalten. Z.B. werden der Erzieher und ich einMädchen mehr unterstützen, das erst neu in Deutschland ist. Sie braucht mehr Hilfe, hieranzukommen und <strong>die</strong> Sprache zu lernen, auch wenn sie es nicht fordert. Wenn ich sehen,mit wie viel Zeit <strong>die</strong> Erzieher/innen mit den Kinder reden und sich auseinandersetzen können,bin ich neidisch. Allerdings profitiere ich auch davon. Wie war es noch vor einemJahr? Wenn ich wegen Problemen mit einem Kind zu Hause anrief, hatte ich oft denSchüler selbst am Telefon, im Hintergrund den Fernseher. Jetzt habe ich nicht nur einenkompetenten Gesprächspartner, mit dem ich mich austauschen kann. Der Erzieher redetauch mit den Kindern und seinen Eltern, vermittelt im Konflikt. Übrigens merke ich sehrdeutlich im Unterricht, welche Kinder im <strong>offene</strong>n Ganztags sind. Die halten zusammen,sagen einander ‚Du weißt doch, dass du bei ihm lauter sprechen musst“, oder ‚Der magnicht, wenn du ihn in <strong>die</strong> Seite kneifst!’ und stehen füreinander ein. Früher dachte ich immer,arme Kinder, <strong>die</strong> in den Hort müssen, weil ihre Eltern arbeiten. Heute denke ich,schade für all <strong>die</strong>, <strong>die</strong> nicht in <strong>die</strong>sem pädagogischen Rahmen von engagierten Leuten amNachmittag betreut werden.Ulla Wieja, 50 Jahre, Sozialarbeiterin und Familientherapeutin in der SchulstationIn den vier Jahren, <strong>die</strong> ich an der Schule arbeite, erlebe ich eine große Bereitschaft derLehrer/innen, gemeinsam im Team zu schauen, warum ein Kind stört oder jemanden beschimpftund was es braucht, um lernen zu können. Diese <strong>offene</strong> Haltung unterstützt <strong>die</strong>Kooperation. Als wir hier anfingen gab es schon Standesdünkel. Allerdings war schnellklar, dass sich das soziale und Lernklima an der Schule nicht entwickeln wird, wenn jedeGruppe nur in den Grenzen ihrer Profession denkt. Aufgeweicht wurden <strong>die</strong>se GrenzenPraxis Praxis Praxis Praxis Praxis Praxis
<strong>Berliner</strong> <strong>Bildungsprogramm</strong> für <strong>die</strong> <strong>offene</strong> <strong>Ganztagsgrundschule</strong>, Entwurf vom 6.3.2007 93immer dann, wenn wir einander anerkannten, für das, was jeder leistet. Seit 2002 gibt esregelmäßig Kooperationstreffen zwischen Lehrer/innen, Jugendamt, Elternvertretern,Schulleitung und uns und nach und nach hat sich eine Vertrauensbasis entwickelt. Auf<strong>die</strong>ser Grundlage gelingt es uns, das Schulleben zu gestalten und Situationen nicht nurhinterher zu rennen. Wo wir ganz klar lernen müssen – Lehrer/innen und Sozialarbeiter/innen- ist interkulturelle Elternarbeit. Es braucht Wissen, um angemessen den Mütternund Vätern begegnen zu können, <strong>die</strong> in ihrer Herkunftskultur andere Werte vertreten. Füruns Mitarbeiterinnen der Schulstation sind jedes Jahr 14 Tage Fortbildung als reguläreArbeitszeit eingeplant. Bei den Lehrer/innen beruht vieles nur auf Engagement – sowohl<strong>die</strong> Zeit, <strong>die</strong> sie in <strong>die</strong> Kooperation geben, als auch das, was sie lernen, um in Konfliktsituationendeeskalierend aufzutreten. Ich finde, das darf so nicht bleiben. Auch sie brauchenKooperations- und Fortbildungszeit, um den aktuellen Herausforderungen des Schulalltagsgewachsen zu sein.Praxis Praxis Praxis Praxis Praxis Praxis