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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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ihnen ganz offenbar wird. Dazu genügt freilich nicht <strong>der</strong> eigene Entschluß, auch nicht die<br />

bloße Überlegung. Vielmehr bedarf es des entscheidenden Wandels <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Situation eines Menschen nach unten, seines Herausfliegens aus allen Sicherungen sozialer<br />

und menschlicher Art, um ein relatives Außerhalb gegenüber den grundlegenden gesellschaftlich-ökonomischen<br />

Beziehungen ins Bewußtsein zu bringen. Erst dann kann das Dasein wirklich<br />

den Glauben an die Natürlichkeit seiner Bedingungen verlieren und entdecken, wieviel<br />

gesellschaftlich bedingte Elemente noch in <strong>der</strong> Liebe, <strong>der</strong> Freundschaft, <strong>der</strong> Achtung, <strong>der</strong><br />

Solidarität, die es genossen hat, enthalten waren. Es bedarf bestimmter Ereignisse, welche<br />

das Leben eines Menschen so verän<strong>der</strong>n, daß es nicht wie<strong>der</strong>gutzumachen ist.« 19<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> Studie »Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches«, sowohl<br />

<strong>der</strong>en empirischen Gehalt als auch die methodische Anlage betreffend, flossen später<br />

in die 1936 von Max Horkheimer im Exil publizierten »Studien über Autorität und Familie«<br />

ein. Schließlich erschienen 1950 die »Studien zum autoritären Charakter«, begonnen 1944<br />

als »Studies in Prejudice«.<br />

Diese drei Arbeiten können als die zentralen Werke angesehen werden, die sich mit <strong>der</strong><br />

Frage beschäftigen, warum aktuelle politisch-ökonomische <strong>Krise</strong>nsituationen nicht zu einer<br />

Verän<strong>der</strong>ung im Sinne einer gesellschaftlichen Befreiung geführt haben, son<strong>der</strong>n in neue<br />

Formen von Herrschaft umgeschlagen sind. Warum, so ließe sich ergänzen, waren die Individuen<br />

nicht in <strong>der</strong> Lage, die <strong>Krise</strong>nsituationen produktiv zu nutzen.<br />

Im Folgenden soll die Arbeit an <strong>der</strong> Beantwortung dieser Fragen skizziert, zentrale Begriffe<br />

dargelegt und ihre Aktualität beleuchtet werden. Dabei tritt insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Terminus<br />

»Charakter« in den Mittelpunkt begrifflich-rekonstruktiver Bemühungen.<br />

<strong>Kritische</strong> <strong>Theorie</strong> des Subjekts<br />

Aufgabenstellung und offene Probleme<br />

Es ist eine eigene Rekonstruktionsaufgabe, die vielfältigen, heterogenen und disparaten Verwendungsweisen<br />

des Wortes »Subjekt« mit all seinen adjektivischen Zuschreibungen in <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>der</strong> <strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong> zu untersuchen. Für unsere Zwecke hier genügt es zu konstatieren,<br />

dass mit Subjekt zunächst das einzelne Individuum gemeint ist. Das einzelne Individuum<br />

aber nicht als vereinzeltes Einzelnes, also als vor- o<strong>der</strong> außergesellschaftliches, son<strong>der</strong>n<br />

als Einzelnes in <strong>der</strong> Gesellschaft. Problem ist somit die Bestimmung des Verhältnisses<br />

zwischen Individuum als Einzelnem und Gesellschaft als Allgemeinem. Die durchgeführte<br />

Bestimmung dieses Verhältnisses zeigt dann das Individuum als Beson<strong>der</strong>es, in dem das Einzelne<br />

und das Allgemeine miteinan<strong>der</strong> vermittelt sind. Das Individuum als Beson<strong>der</strong>es ist<br />

Subjekt, insofern es kollektives Individuum ist.<br />

19 Ebenda, S. 321 f.<br />

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