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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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nicht-emanzipatives Moment <strong>der</strong> Gleich-Gültigkeit von Mensch und Ding (Ware) hinzu, das<br />

<strong>der</strong> gegenseitigen Anerkennung im Wege steht, die Anerkennung wie<strong>der</strong> zurücknimmt und in<br />

Verdinglichung enden lässt. Das verdinglichte Individuum ist kalt – in gewisser Hinsicht ist<br />

es sozial abgestorben. Dieses »Grundprinzip <strong>der</strong> bürgerlichen Subjektivität« nennt Adorno<br />

»Kälte«, und er ist <strong>der</strong> Ansicht, dass Auschwitz ohne diese bürgerliche, das heißt mo<strong>der</strong>ne<br />

Kälte, nicht möglich gewesen wäre. 118 Schon Horkheimer hatte 1939 geschrieben: »Wer aber<br />

vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.« 119<br />

Marx hat den von Kant aufgestellten kategorischen Imperativ, wonach man den Menschen<br />

niemals allein als bloßes Mittel, son<strong>der</strong>n immer zugleich auch als Zweck behandeln solle<br />

und wodurch erst sichergestellt ist, dass die Würde des Menschen – die nach Kant keinen<br />

Preis hat – nicht angetastet wird, von seiner moralischen Höhe auf einen materialistischen<br />

Boden gestellt: Es seien »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen <strong>der</strong> Mensch ein erniedrigtes,<br />

ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«. 120 Dies ist <strong>der</strong> Kern auch <strong>der</strong><br />

negativ gewordenen <strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong>. Denn Auschwitz zeigt in negativer Gestalt, wie<br />

dringlich die kategorischen Imperative von Kant und Marx zu verwirklichen sind, damit<br />

»Auschwitz nicht sich wie<strong>der</strong>hole, nichts Ähnliches geschehe«.<br />

Zuletzt: »Frankfurter Schule«<br />

Von <strong>der</strong> »Frankfurter Schule« war hier, wenn überhaupt, nur in ironischer Form die Rede,<br />

weil es als stilisiertes Etikett nur sehr ungenau den Konstitutions-, Erfahrungs- und Schulzusammenhang<br />

benennt. Die Bezeichnung »Frankfurter Schule« ist eine spätere Erfindung:<br />

ein Label, das irgendwann in den 1960er Jahren aufkam, nachdem das Institut für Sozialforschung<br />

bereits wie<strong>der</strong> einige Jahre aus den USA zurück nach Frankfurt verlegt worden war.<br />

Detlev Claussen kritisiert die Bezeichnung »Frankfurter Schule« als »Mediennamen«, gleichsam<br />

als kulturindustrielle Chiffre. 121 Verwendet man dieses Label auch für die frühe kritische<br />

<strong>Theorie</strong>, wie es etwa sehr einschlägig von Martin Jay und Rolf Wiggershaus etabliert<br />

wurde, 122 wendet man es mithin auf die 1930er Jahre an, dann kommt das einer ideologisie-<br />

118 Vgl. Adorno: Negative Dialektik, S. 356.<br />

119 Horkheimer: Die Juden in Europa, S. 308-331; S. 308 f. Dieses Diktum lässt sich allerdings in <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

auch auf Horkheimer selbst beziehen, da er im Kontext des Kalten Krieges zunehmend Partei für die USA ergriff<br />

und den Kapitalismus nur noch als »das Bestehende« bezeichnete. – Vgl. Wiggershaus: Die Frankfurter Schule,<br />

S. 446 f.; siehe auch Alex Demirović: <strong>Theorie</strong>, Praxis und Demokratie. Zum Verhältnis von Wolfgang Abendroth<br />

und <strong>Kritische</strong>r <strong>Theorie</strong>, in: Hans-Jürgen Urban, Michael Buckmiller, Frank Deppe (Hg.): Antagonistische Gesellschaft<br />

und politische Demokratie. Zur Aktualität von Wolfgang Abendroth, Hamburg 2006, S. 35; vgl. auch<br />

Demirović: Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong> zur Frankfurter<br />

Schule, Frankfurt am Main 1999, S. 285 f.<br />

120 Marx: Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung (1843/44), in: MEW, Bd. 1, S. 385.<br />

121 Vgl. Detlev Claussen: Kann <strong>Kritische</strong> <strong>Theorie</strong> vererbt werden?, in: Tatjana Freytag, Marcus Hawel (Hg.): Arbeit<br />

und Utopie. oskar Negt zum 70. Geburtstag, Frankfurt am Main 2004, S. 271-285; S. 274; vgl. auch <strong>der</strong>s.: Abschied<br />

von gestern. <strong>Kritische</strong> <strong>Theorie</strong> heute, Bremen 1986, S. 5 f.<br />

122 Vgl. Jay: Dialektische Phantasie; Wiggershaus: Die Frankfurter Schule.<br />

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