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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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zu begreifen, »<strong>der</strong> bei aller Zerrissenheit doch einer ist«. 12 Gerade auch die außertheoretischen<br />

Wi<strong>der</strong>sprüche sind wesentlich von Belang für die Reflexion, womit die kritische <strong>Theorie</strong> im<br />

Gegensatz zur traditionellen <strong>Theorie</strong> eben auch eine außerakademische Wahrheit und Geltung<br />

ihrer und im Grunde aller Aussagen in Anspruch nimmt. Es geht um das gesellschaftliche<br />

Ganze, mithin darum, Wissenschaft nicht abstrakt, das heißt vom Gesamtzusammenhang isoliert<br />

zu betreiben:<br />

»Die traditionelle Vorstellung <strong>der</strong> <strong>Theorie</strong> ist aus dem wissenschaftlichen Betrieb abstrahiert,<br />

wie er sich innerhalb <strong>der</strong> Arbeitsteilung auf einer gegebenen Stufe vollzieht. Sie entspricht<br />

<strong>der</strong> Tätigkeit des Gelehrten, wie sie neben allen übrigen Tätigkeiten in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

verrichtet wird, ohne dass <strong>der</strong> Zusammenhang zwischen den einzelnen Tätigkeiten unmittelbar<br />

durchsichtig wird.« 13<br />

Dagegen hat die kritische Gesellschaftstheorie die ganzen, also die vergesellschafteten<br />

»Menschen als die Produzenten ihrer gesamten historischen Lebensformen zum Gegenstand«.<br />

14 Die sozialen Verhältnisse werden alles an<strong>der</strong>e als unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong> Gegebenheit<br />

und schon gar nicht sub specie aeternitatis, son<strong>der</strong>n radikal unter dem Aspekt ihrer<br />

Verän<strong>der</strong>barkeit betrachtet. In <strong>der</strong> kritischen <strong>Theorie</strong> ruht die Gegenwart nicht in sich. Selbst<br />

das Zukünftige steht unter dem Verdikt des Historischen. Die »Realität« steht unter Verdacht,<br />

aus Herrschaftsinteressen sich <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung zu verweigern, verkapptes Realitätsprinzip<br />

zu sein, gleichsam »repressive Entsublimierung« 15 zu beför<strong>der</strong>n. Gegen den Begriff <strong>der</strong> »Notwendigkeit«<br />

wendet Horkheimer ein, dass es notwendig sei, die Not abzuwenden und dass<br />

eben dasjenige notwendig sei, was die Not abzuwenden vermag:<br />

»Soweit [Notwendigkeit], vom Menschen unbeherrscht, ihm entgegensteht, gilt sie einerseits<br />

als das Naturreich, das trotz <strong>der</strong> weitreichenden Eroberungen, die noch zu machen sind,<br />

nie ganz verschwinden wird, an<strong>der</strong>erseits als die ohnmacht <strong>der</strong> bisherigen Gesellschaft, den<br />

Kampf mit dieser Natur in einer bewußten und zweckmäßigen organisation zu führen. Hier<br />

sind Kräfte und Gegenkräfte gemeint. Beide Momente dieses Begriffs <strong>der</strong> Notwendigkeit,<br />

die miteinan<strong>der</strong> zusammenhängen, Macht <strong>der</strong> Natur und ohnmacht <strong>der</strong> Menschen, beruhen<br />

auf <strong>der</strong> selbst erlebten Anstrengung <strong>der</strong> Menschen, sich vom Zwang <strong>der</strong> Natur und den zur<br />

Fessel gewordenen Formen des gesellschaftlichen Lebens, <strong>der</strong> juristischen, politischen und<br />

kulturellen ordnung zu befreien. Sie gehören zum wirklichen Streben nach einem Zustand,<br />

in welchem, was die Menschen wollen, auch notwendig ist, in welchem die Notwendigkeit<br />

<strong>der</strong> Sache zu <strong>der</strong> eines vernünftig beherrschten Geschehens wird.« 16<br />

Dieser außerakademische Wahrheitsanspruch ist unabweislich auf die vorgegebene »Realität«<br />

und die »Tatsachen« verwiesen, kein Wolkenkuckucksheim – aber schon Hegel soll<br />

12 Ebenda, S. 212.<br />

13 Ebenda, S. 171.<br />

14 Max Horkheimer: Nachtrag [zu »Traditionelle und kritische <strong>Theorie</strong>«] (1937), in: <strong>der</strong>s.: GS, Bd. 4, S. 217.<br />

15 Vgl. Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie <strong>der</strong> fortgeschrittenen Industriegesellschaft,<br />

Neuwied 1967.<br />

16 Horkheimer: Traditionelle und kritische <strong>Theorie</strong>, S. 204.<br />

15

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