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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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MoRITZ BLANKE, MARCUS HAWEL<br />

Zur Aktualität <strong>der</strong> <strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong><br />

»Eine <strong>Krise</strong> ist <strong>der</strong> größte Segen, <strong>der</strong> einer Person o<strong>der</strong> einem Land passieren kann,<br />

denn sie bringt immer Fortschritt. Die Kreativität entsteht aus <strong>der</strong> Panik, genauso wie<br />

<strong>der</strong> Tag auf die Dunkelheit <strong>der</strong> Nacht folgt. <strong>Krise</strong>n gebären (…) Erfindungsgeist<br />

und große Strategien. Wer eine <strong>Krise</strong> übersteht, überwindet sich selbst, ohne bezwungen<br />

zu werden. Wer mit <strong>der</strong> <strong>Krise</strong> seine eigene Nie<strong>der</strong>lage erklärt, vergewaltigt sein<br />

schöpferisches Potential und sucht mehr nach den Problemen, anstatt nach Lösungen. (…)<br />

Von <strong>der</strong> <strong>Krise</strong> zu reden, bedeutet sie zu för<strong>der</strong>n, über sie zu schweigen jedoch, bedeutet<br />

<strong>der</strong> allgemeinen Einschätzung Nahrung zu geben. (…) Hören wir also auf mit <strong>der</strong> einzig<br />

wirklich bedrohlichen <strong>Krise</strong>, die sich in <strong>der</strong> Tragödie äußert, nicht dafür<br />

kämpfen zu wollen, sie zu überwinden.«<br />

Albert Einstein, 1955<br />

Wenn man die Entstehungsphase <strong>der</strong> kritischen <strong>Theorie</strong> auf die 1920er Jahre datiert und den<br />

Bogen <strong>der</strong> Wirkungsgeschichte <strong>der</strong> »Frankfurter Schule« bis in die Gegenwart spannt, dann<br />

haben wir einen zeitlichen Rahmen von beinahe einem Jahrhun<strong>der</strong>t, das voller Turbulenzen,<br />

<strong>Krise</strong>n und Katastrophen ist. Die Wirkungsgeschichte <strong>der</strong> <strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong>, die mit Karl<br />

Korsch, Georg Lukács, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse und an<strong>der</strong>en<br />

verbunden ist, deckt sich weitgehend mit jenem »kurzen 20. Jahrhun<strong>der</strong>t«, das <strong>der</strong> britische<br />

Historiker Eric Hobsbawm 1917 mit dem Ende des Ersten Weltkrieges beginnen und 1991<br />

mit <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> bipolaren Weltordnung enden lässt. 1 Seither, so Hobsbawm, haben wir<br />

es mit einem Ableben, gar mit einem Untergang auch <strong>der</strong> westlichen Welt zu tun, die sich in<br />

einem »freien Fall« befinde.<br />

Seit 2007 erlebt diese Welt eine fundamentale Finanz- und Kapitalkrise, die in einzelnen<br />

Län<strong>der</strong>n zum Teil verheerende Auswirkungen zeitigt und mit ihrem vorläufigen Höhepunkt<br />

im Jahr 2009 Dimensionen erreicht, die mit jenen aus dem <strong>Krise</strong>njahr 1929 vergleichbar werden,<br />

wenngleich bisher nicht zu erkennen ist, dass sich auch die mit 1929 einhergegangenen<br />

politischen Entwicklungen wie<strong>der</strong>holen werden. Die Parallelen sind allerdings Anlass genug,<br />

die Aktualität <strong>der</strong> <strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong> zu überprüfen.<br />

Zwar haben wir es heute mit einer allenfalls stabilen Inflation, nicht aber mit einer Hyperinflation<br />

o<strong>der</strong> Deflation zu tun. In Deutschland ist keine, in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n ist aber<br />

sehr wohl Massenarbeitslosigkeit, insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> jungen Alterskohorte, entstanden.<br />

Daher ist die Frage virulent, wie sich ökonomische <strong>Krise</strong> und Zerfall <strong>der</strong>artigen Ausmaßes<br />

auf das Bewusstsein <strong>der</strong> Menschen auswirken. Einen vergleichbaren Rechtsruck, wie<br />

er in Europa in den ausgehenden 1920er Jahren stattgefunden und dem Faschismus Auftrieb<br />

gegeben hat, ist heute allerdings nicht festzustellen. Sehr wohl aber hat es beunruhigende<br />

1 Vgl. Eric Hobsbawm: Das Zeitalter <strong>der</strong> Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, München 1998.<br />

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