Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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institutionellen und <strong>der</strong> sozial-emotionalen Dimension. Sie muss konstatiert werden, wenn<br />
gesellschaftliche Teilhabe gefährdet und subjektiv als Anerkennungsverlust interpretiert<br />
wird. 6 Die zentrale Annahme lautet: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Gewalt<br />
wie auch diskriminierungsnahe Verhaltensintentionen sind umso ausgeprägter, je größer die<br />
Desintegrationsbelastungen in unterschiedlichen Teildimensionen mit <strong>der</strong> Folge einer negativen<br />
Anerkennungsbilanz sind. 7 Zur Vermeidung solch negativer Anerkennungsbilanzen<br />
folgt aus dem Konzept die (Re-)Integration <strong>der</strong> Individuen in die Gesellschaft. Damit wird<br />
<strong>der</strong> Fokus auf ein zunächst ganz plausibles Moment gelegt, das <strong>der</strong> Möglichkeit zur gesellschaftlichen<br />
Teilhabe als integrierendes und vor allzu menschenfeindlicher Praxis schützendes.<br />
Allerdings verbleibt dies eher auf <strong>der</strong> oberfläche des Problems. Denn eine solche Verortung<br />
<strong>der</strong> Desintegration des Individuums ausschließlich in einer krisenhaften Situation<br />
eskamotiert die permanente Desintegration im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess, in<br />
dem die Selbsterhaltung <strong>der</strong> Individuen nur bewusstlos mitgeschleift wird, und setzt als Antwort<br />
die Reintegration in den strukturell krisenhaften Prozess. Daher verbleiben die Deprivationskonzepte<br />
auf einer Ebene, auf <strong>der</strong> die grundlegenden Strukturen <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
ebenso ausgeblendet wie die Formierung <strong>der</strong> Gesellschaft als Nation unkritisiert bleiben. Das<br />
Verhältnis des Individuums zur Allgemeinheit wird reduziert auf die Teilhabemöglichkeiten.<br />
Die Grundlegung dieses Verhältnisses im Reproduktionsprozess sowohl <strong>der</strong> Einzelnen als<br />
auch <strong>der</strong> Gesellschaft bleibt außen vor. Im Gegensatz dazu situiert die <strong>Kritische</strong> <strong>Theorie</strong> ihre<br />
Analysen gerade im Spannungsverhältnis von Individuum und Allgemeinheit und erkennt in<br />
den Prozessen <strong>der</strong> Anpassung und Integration des Individuums an und in die herrschaftlich<br />
und bewusstlos prozessierende Vergesellschaftung das grundsätzliche Problem, das eben in<br />
Formierung und Ausgrenzung erscheint. Um die Komplexität <strong>der</strong> Argumentation einigermaßen<br />
handhabbar zu machen, werde ich zunächst eine kurze historisch-theoretische Einordnung<br />
<strong>der</strong> <strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong> vornehmen, um im zweiten Schritt mit einer Interpretation <strong>der</strong><br />
Analysen des Nationalsozialismus, die von den Vertretern <strong>der</strong> <strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong> im weiteren<br />
Sinne vorgenommen wurden, einen theoretischen Rahmen zu skizzieren, <strong>der</strong> Anhaltspunkte<br />
zum Verständnis <strong>der</strong> Gegenwart liefern soll. Abschließend werden skizzenartig einige Anschlussmöglichkeiten<br />
an die <strong>Kritische</strong> <strong>Theorie</strong> zur Analyse <strong>der</strong> Gegenwart gezeichnet.<br />
Zur Verortung <strong>der</strong> <strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong><br />
Sowohl um das Aktualisierungspotential einschätzen sowie den Grundgedanken verstehen<br />
zu können, ist eine kurze historische Einordnung <strong>der</strong> <strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong> notwendig. Sie reflektiert<br />
eine doppelte <strong>Krise</strong>, in <strong>der</strong> sie sich in den 1920ern befand: die gesellschaftliche<br />
6 Vgl. Kirsten Endrikat, Dagmar Schaefer, Jürgen Mansel und Wilhelm Heitmeyer: Soziale Desintegration. Die riskanten<br />
Folgen negativer Anerkennungsbilanzen, in: Heitmeyer: Deutsche Zustände I, Frankfurt am Main 2002, S.<br />
37-58.<br />
7 Ebenda, S. 40.<br />
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