Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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wie MacCulloch o<strong>der</strong> Say, son<strong>der</strong>n umgekehrt, daß er diese Wi<strong>der</strong>sprüche brutal zum Naturgesetz<br />
erhebt und absolut heiligspricht. Sismondis leiten<strong>der</strong> Gesichtspunkt sind die Interessen<br />
<strong>der</strong> Arbeitenden, das Ziel, auf das er, wenn auch in allgemeiner und vager Form, hinsteuert,<br />
durchgreifende Reform <strong>der</strong> Verteilung zugunsten <strong>der</strong> Proletarier. Malthus ist <strong>der</strong><br />
Ideologe <strong>der</strong> Interessen jener Schicht von Parasiten <strong>der</strong> kapitalistischen Ausbeutung, die sich<br />
von Grundrente und <strong>der</strong> Staatskrippe nähren, und das Ziel, das er befürwortet, ist die Zuwendung<br />
einer möglichst großen Portion Mehrwert an diese ›unproduktiven Konsumenten‹.<br />
Sismondis allgemeiner Standpunkt ist vorwiegend ethisch, sozialreformerisch: Er ›verbessert‹<br />
die Klassiker, indem er ihnen gegenüber hervorhebt, ›<strong>der</strong> einzige Zweck <strong>der</strong> Akkumulation<br />
sei die Konsumtion‹, er plädiert für Dämpfung <strong>der</strong> Akkumulation. Malthus spricht umgekehrt<br />
schroff aus, daß die Akkumulation <strong>der</strong> einzige Zweck <strong>der</strong> Produktion sei und befürwortet die<br />
schrankenlose Akkumulation auf Seiten <strong>der</strong> Kapitalisten, die er durch die schrankenlose Konsumtion<br />
ihrer Parasiten ergänzen und sichern will. Endlich war Sismondis kritischer Ausgangspunkt<br />
die Analyse des Reproduktionsprozesses, das Verhältnis von Kapital und Einkommen<br />
auf gesellschaftlichem Maßstab. Malthus geht in seiner opposition gegen Ricardo<br />
von einer absurden Werttheorie und einer von ihr abgeleiteten vulgären Mehrwerttheorie aus,<br />
die den kapitalistischen Profit aus dem Preisaufschlag auf den Wert <strong>der</strong> Waren erklären<br />
will.« 35<br />
Sismondi wurde an dieser Stelle ein solch breiter Raum gegeben, weil sich in seinen Positionsbestimmungen<br />
viel findet, was auch heute den Umgang mit <strong>Krise</strong>n bestimmt. Die hier<br />
skizzierte Sicht auf <strong>Krise</strong>n, ihre Ursachen und die Möglichkeiten ihrer Überwindung wird<br />
sich in <strong>der</strong> weiteren Geschichte immer wie<strong>der</strong> finden. Zentral ist dabei die Unterkonsumtionsthese.<br />
Die Ansätze tauchen bei den »Volkstümlern« (Narodniki) in Russland auf (dies<br />
spielte wie<strong>der</strong>um bei <strong>der</strong> Formierung <strong>der</strong> Auffassungen <strong>der</strong> russischen Linken eine große<br />
Rolle) sowie bei <strong>der</strong> reformistischen Sozialdemokratie, bei Keynesianern o<strong>der</strong> bei Wohlfahrtsökonomen.<br />
Dem Zyklus auf <strong>der</strong> Spur: Charles Fourier<br />
Sismondi war keine Quelle Marxscher <strong>Krise</strong>nauffassungen. Für Marx musste Sismondi inkonsequent<br />
sein, weil er den Gesamtprozess <strong>der</strong> Reproduktion des Kapitalverhältnisses nicht<br />
vorbehaltlos zum Ausgangspunkt nahm. Fourier hingegen ist gerade hinsichtlich <strong>der</strong> <strong>Krise</strong>nauffassung<br />
ein wichtiger Bezugspunkt <strong>der</strong> Marxschen »Kritik <strong>der</strong> Politischen Ökonomie«.<br />
Fourier kritisiert seinerseits die Begrenztheiten Sismondis, indem er betont, dass nicht nur<br />
die Konsumtion o<strong>der</strong> die für die Massen fehlende Konsumtionsmöglichkeit, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
Kreislauf des Kapitals insgesamt ein »verkehrter Kreislauf« sei. Er erwähnt explizit über Sismondi<br />
hinausgehend neben dem verkehrten Mechanismus <strong>der</strong> Konsumtion die »verkehrte<br />
35 <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong>: Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus,<br />
in: dies.: Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 182.<br />
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