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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Augenblick hat die Philosophie ihren Zweck bereits verfehlt. Und, wenn ich mir das gestatten<br />

darf, ich würde sagen, daß <strong>der</strong> Punkt, an dem heute die Philosophie – mit aller Fragwürdigkeit<br />

und Fehlbarkeit, die ihrem Begriff mittlerweile anhaftet – ihre wahre Aktualität, wenn an<strong>der</strong>s<br />

sie eine hat, zeigt, darin besteht, daß sie dem herrschenden Sekuritätsbedürfnis, nach dem<br />

auch alle Modi <strong>der</strong> Erkenntnis mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> zurechtgeschustert sind, wi<strong>der</strong>steht; und<br />

daß sie einsieht, daß – mit Nietzsche zu reden – eine Erkenntnis, die nicht gefährlich ist,<br />

nicht wert ist, gedacht zu werden. Wobei dieses Gefährlichsein weniger auf nihilistische<br />

Bombenattentate o<strong>der</strong> auf die Zertrümmerung irgendwelcher alter Werttafeln gerichtet ist als<br />

ganz einfach darauf, daß eine Erkenntnis, die nicht dadurch, daß sie über das hinausgeht,<br />

was das bereits gewußte Wissen ist, in Gefahr steht, selber falsch und unwahr und überholt<br />

zu werden – daß eine solche Erkenntnis auch nicht wahr sein kann. Was nur eine an<strong>der</strong>e Form<br />

des Ausdrucks dessen ist, worauf ich immer wie<strong>der</strong> zurückkomme: daß nämlich <strong>der</strong> Wahrheitsgehalt<br />

selber in sich ein Zeitmoment hat, anstatt bloß in <strong>der</strong> Zeit als dieser gegenüber<br />

Gleichgültiges und Ewiges zu erscheinen.« 21<br />

Die Säulen <strong>der</strong> kritischen <strong>Theorie</strong><br />

Schon die Entstehung <strong>der</strong> kritischen <strong>Theorie</strong> war ein Ausdruck <strong>der</strong> Erneuerung in Form einer<br />

Aufhebung bestimmter Philosophien. We<strong>der</strong> Kant, Hegel o<strong>der</strong> Freud, selbst Marx nicht, werden<br />

sui generis, gleichsam werktreu reproduziert und dogmatisch für die kritische <strong>Theorie</strong> in<br />

Anschlag gebracht. Horkheimer und Adorno betreiben keinen Neokantianismus, Neohegelianismus<br />

o<strong>der</strong> Neomarxismus. Das wäre ein ahistorischer Umgang, den sie als »traditionelle<br />

<strong>Theorie</strong>« kritisieren. Die <strong>Theorie</strong>n werden an<strong>der</strong>erseits auch nicht wie ein Steinbruch behandelt<br />

– o<strong>der</strong> als eine Werkzeugkiste, aus <strong>der</strong> man sich einfach bedienen könnte. <strong>Kritische</strong> <strong>Theorie</strong><br />

läuft nicht auf einen Synkretismus aus Kant, Hegel, Marx und Freud hinaus, gleichwohl diese<br />

vier die wesentlichen tragenden Säulen ausmachen. Aber auch Max Weber, Georg Lukács,<br />

Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche: Alle werden sie in einen Zusammenhang gestellt<br />

und in Konstellation zueinan<strong>der</strong> gedacht, so dass sich Synergieeffekte ergeben, um blinde<br />

Stellen in <strong>der</strong> <strong>Theorie</strong> zu kompensieren. Alle gehen sie durch das eine Nadelöhr: Sie gehen<br />

durch Marx hindurch. Auch Marx wird durch dieses Nadelöhr gezwängt. Der Begriff des<br />

»Zeit- [und orts-]kerns <strong>der</strong> Wahrheit« bildet hierbei den Maßstab <strong>der</strong> immanenten Kritik zum<br />

Zwecke <strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong> Philosophie. Mit Aufhebung ist dialektische Aufhebung gemeint,<br />

mithin zugleich Aufbewahrung, Liquidation und das Heben auf eine höhere Stufe:<br />

»Aufheben hat in <strong>der</strong> Sprache den gedoppelten Sinn, daß es so viel als aufbewahren, erhalten<br />

bedeutet und zugleich so viel als aufhören lassen, ein Ende machen. Das Aufbewahren<br />

selbst schließt schon das Negative in sich, daß etwas seiner Unmittelbarkeit und damit einem<br />

dem äußerlichen Einwirkungen offenen Dasein entnommen wird, um es zu erhalten. – So ist<br />

21 Adorno: Vorlesung über Negative Dialektik, S. 127 f.<br />

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