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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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ich mich hauptsächlich auf das, was in <strong>der</strong> Literatur als <strong>der</strong> »späte« Marx diskutiert wird, 3<br />

mithin auf dessen Auffassung von Kritik im »Kapital«. Der komplexe Begriff des Fetischs<br />

und die damit einhergehende Analyse <strong>der</strong> Ver-rücktheiten <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft sind<br />

für das Marxsche Kritikverständnis neuralgische Anknüpfungspunkte.<br />

Kritik und <strong>Krise</strong><br />

Zu Lebzeiten legte Marx große Hoffnung in einen internationalen Wirtschaftscrash. Er fieberte<br />

erwartungsvoll einer <strong>Krise</strong> entgegen in <strong>der</strong> Hoffnung, die Zuspitzung <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Probleme möge den Herrschenden das Fürchten lehren; »die jetzigen Verhältnisse<br />

(…) [müssen] nach meiner Ansicht bald zu einem earthquake führen«, 4 schrieb er 1853. Marx<br />

arbeitete 1857 nach eigenem Bekunden »wie toll die Nächte durch« an seinen ökonomischen<br />

Studien, »damit [er] wenigstens die Grundrisse im Klaren habe bevor dem déluge«. 5 Das<br />

Erdbeben blieb nicht aus, hatte aber einen an<strong>der</strong>en Charakter als die großen <strong>Krise</strong>n des globalisierten<br />

Kapitalismus im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t. Dem Börsencrash von 2008 und den Folgejahren<br />

wäre Marx wohl nicht mehr schreibend vorausgeeilt. Heute, nach mehr als 150 Jahren, in<br />

denen Erfahrungen mit diesem System gemacht wurden, hätten ihn die Wirtschafts- und Finanzkrise,<br />

untrennbar von ihren ökologischen und sozialen <strong>Krise</strong>nerscheinungen, nicht son<strong>der</strong>lich<br />

überrascht o<strong>der</strong> empört. Aufgeregt hätten Marx wohl eher die Debatten, die über die<br />

<strong>Krise</strong> geführt werden. Diese hätte er wahrscheinlich mit bissigen Kommentaren begleitet,<br />

die einem Kritikansatz entspringen, in dem die <strong>Krise</strong> nicht als Ausnahme, son<strong>der</strong>n als <strong>der</strong><br />

kapitalistische Normalfall begriffen wird.<br />

Aus Marxscher Perspektive heißt das aber nicht, dass im Großen und Ganzen alles immer<br />

gleich bleibt, weil es sich schließlich immer noch um Kapitalismus handele. Allerdings ist<br />

die <strong>Krise</strong>nhaftigkeit einer kapitalistisch verfassten Gesellschaft ihrer grundlegenden Funktionslogik<br />

geschuldet. Eine <strong>Krise</strong> ist in den Strukturen des Kapitalismus angelegt. Solange<br />

diese Produktions- und Lebensweise dominiert, mithin Warentausch, Konkurrenzprinzip,<br />

Mehrwertproduktion und Profitmaximierung vorherrschen, braucht man sich über <strong>der</strong>artige<br />

<strong>Krise</strong>n nicht zu wun<strong>der</strong>n. Worüber aber sollte man sich wun<strong>der</strong>n, wenn selbst eine <strong>Krise</strong> in<br />

den Ausmaßen wie die von 2008 keine Zweifel an den Grundpfeilern kapitalistischer ordnung<br />

zu dulden scheint? Zwar verschärfte sich bereits vor den <strong>Krise</strong>nhöhepunkten, als <strong>der</strong>en<br />

massive gesellschaftliche Auswirkungen noch gar nicht abzusehen waren, <strong>der</strong> politische Diskurs:<br />

Von »Heuschrecken« war vielerorts die Rede, die ein allgemeinwohlorientiertes Wirt-<br />

3 Wobei umstritten ist, wie sinnvoll eine Einteilung des Marxschen Werkes in »frühe« und »späte« Teile ist. Ebenso<br />

strittig ist die Frage, ob bzw. wann es in <strong>der</strong> intellektuellen Entwicklung und <strong>der</strong> Marxschen <strong>Theorie</strong> einen Bruch<br />

gibt. – Vgl. hierzu Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik <strong>der</strong> politischen Ökonomie<br />

zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, Münster 1999, S. 121 ff.<br />

4 Karl Marx an Friedrich Engels, 10. März 1853, in: dies.: Werke (MEW), Bd. 28, S. 223.<br />

5 Karl Marx an Friedrich Engels, 8. Dezember 1857, in: MEW, Bd. 29, S. 225.<br />

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