Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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dingungen auf, unter denen Massen für eine Politik gewonnen werden können, die ihren eigenen<br />
vernünftigen Interessen entgegengesetzt sind.« 39<br />
In <strong>der</strong> »Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung« beschreiben Horkheimer und Adorno später zeitdiagnostisch<br />
den gesellschaftlichen Übergang in die »verwaltete Welt« und in die Kulturindustrie:<br />
Mechanisierung und Bürokratisierung verlangten neue Formen <strong>der</strong> Anpassung. Die Individuen<br />
müssten, um den Anfor<strong>der</strong>ungen gerecht zu werden, die das Leben an sie stellt, sich<br />
selbst bis zu einem gewissen Grad mechanisieren und standardisieren. Der Anspruch selbstbestimmter<br />
individueller Urteilsfindung werde dagegen zu einer Art Störfaktor im Ablauf<br />
des gesteuerten Lebensprozesses.<br />
Das Verdrängen und das Unbewusste o<strong>der</strong> noch einmal:<br />
»Alle Verdinglichung ist ein Vergessen«<br />
Um eine Anpassung an die »verwaltete Welt« des Fordismus überhaupt zu bewerkstelligen,<br />
ist es notwendig, dass die Individuen all das verdrängen, was den funktionalen Systemerfor<strong>der</strong>nissen<br />
entgegensteht: Bestimmte Wünsche und Bedürfnisse werden ins Unbewusste abgedrängt.<br />
Die Rede vom »autoritären Charakter« <strong>der</strong> frühen »Frankfurter Schule«, die Darstellung<br />
des »Verblendungszusammenhangs <strong>der</strong> Kulturindustrie« in <strong>der</strong> »Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung«<br />
und auch die »Hinwendung auf das Subjekt«, die Adorno in den 1960er Jahren programmatisch<br />
anvisierte, basieren darauf, was Erich Fromm den »Kern <strong>der</strong> Freudschen Entdeckungen«<br />
nannte. Demzufolge wird in drei Schritten ontogenetisch im Individuum eine bestimmte<br />
Denk- und Handlungsstruktur gebildet: Wir sind von Motiven bestimmt, die uns weitgehend<br />
unbekannt sind. Wirkmächtige Bedürfnisse o<strong>der</strong> Wünsche liegen oft im Dunkeln. Denn sie<br />
sind – meist aus Schutz vor psychischer Überfor<strong>der</strong>ung – verdrängt und damit unbewusst.<br />
Derlei Verdrängungen, das Unbewusste zeigt sich zuweilen in den sogenannten Fehlleistungen:<br />
Man macht scheinbar aus Versehen einen »Versprecher«, <strong>der</strong> das tatsächliche Empfinden<br />
o<strong>der</strong> die Einstellung einem bestimmten Sachverhalt gegenüber ausdrückt. Werden wir allerdings<br />
daran erinnert, was wirklich die Motive unseres Denkens und Handelns sind, wird also<br />
an Unbewusstem, Verdrängtem gerührt, so reagieren wir oft mit Abwehr. Sie kann sich als<br />
Ärger, Wut o<strong>der</strong> Aggression äußern, aber auch als Überhören, Müdigkeit, Depression o<strong>der</strong><br />
einfach als Davonlaufen. Diese Abwehr nennt Freud Wi<strong>der</strong>stand, <strong>der</strong> zugleich Hinweise auf<br />
das gibt, was verdrängt ist. Dieser Wi<strong>der</strong>stand ist in aller Regel verknüpft mit dem Gefühl<br />
<strong>der</strong> ohnmacht. 40 Die Abwehr <strong>der</strong> Erinnerung verknüpft mit dem Gefühl <strong>der</strong> ohnmacht kann<br />
dann insofern repressiv werden, als sie gegen an<strong>der</strong>e gerichtet, projiziert wird. Denn »die<br />
An<strong>der</strong>en«, gegen die sich Wut o<strong>der</strong> Aggression vor-urteilend richten, werden als Ursache<br />
des eigenen Unbehagens gesehen. Dies ist das Moment <strong>der</strong> Übertragung. Als Patient aller-<br />
39 Ebenda.<br />
40 Vgl. Erich Fromm: Analytische Sozialpsychologie, in: <strong>der</strong>s.: Gesamtausgabe, Bd. 1, Stuttgart 1980, S. 189-206.<br />
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