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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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haben Horkheimer und Adorno drei entscheidende Wen dungen im Geschichtsbegriff als Reaktion<br />

auf die dreifach geschichtete <strong>Krise</strong>nkonstellation vorgenommen, die die kritische<br />

<strong>Theorie</strong> im Rahmen des »westlichen Marxismus« 49 zur avanciertesten <strong>Theorie</strong> dieser und<br />

<strong>der</strong> kommenden Zeit gemacht haben.<br />

Sich diese mehrdimensionale Konstellation zu vergegenwärtigen, folgt alles an<strong>der</strong>e als<br />

einem musealen Zweck. Die kritische <strong>Theorie</strong>, wie sie von Horkheimer und Adorno entwikkelt<br />

wurde, war ein Ausdruck <strong>der</strong> Erneuerung <strong>der</strong> revolutionären <strong>Theorie</strong>. 50 Sich <strong>der</strong> Verfahrensweise<br />

bewusst zu werden, bedeutet von den spezifischen historischen Bedingungen jener<br />

Konstellation auszugehen und zu prüfen, inwiefern die gleiche Verfahrensweise zur Erneuerung<br />

auf die gegenwärtige <strong>Krise</strong> <strong>der</strong> Gesellschaftstheorie anwendbar ist. Das Prinzip <strong>der</strong><br />

Selbstreflexivität ist dekonstruktiv und konstruktiv zugleich. Es führt die Wirkmacht <strong>der</strong><br />

<strong>Theorie</strong> auf ihre Konstellation zurück, vollzieht den Gestaltwandel <strong>der</strong> Konstellation nach,<br />

um anschließend die Wirkmacht an gewandelten Verhältnissen zu rekonstruieren, gleichsam<br />

zu aktualisieren. 51<br />

Weltrevolution<br />

Der historische Ausgangspunkt für den Entstehungszusammenhang kritischer <strong>Theorie</strong> liegt<br />

am Ende des Kaiserreichs und am Beginn <strong>der</strong> Weimarer Republik. Zum Ende des Ersten<br />

Weltkrieges herrschte in Deutschland wie an<strong>der</strong>swo in <strong>der</strong> Welt ein revolutionäres Klima.<br />

Zwar brach 1917 als erstes in Russland die »proletarische« Revolution aus, das Gelingen <strong>der</strong><br />

Weltrevolution jedoch hing – da waren sich die führenden Revolutionäre, von <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong><br />

bis Wladimir I. Lenin, einig – von Deutschland ab, wenngleich es sich hier zwar nicht<br />

um einen <strong>der</strong> fortschrittlichsten bürgerlichen, wohl aber kapitalistischen Staaten handelte,<br />

jedenfalls mit <strong>der</strong> größten, stärksten und am besten organisierten Arbeiterbewegung <strong>der</strong> Welt.<br />

In Russland dagegen gab es so gut wie noch keine richtige bürgerliche Gesellschaft; in einigen<br />

wenigen Städten wie St. Petersburg gab es Industrieproletariat auf westlichem Niveau,<br />

welches nach Marx das politische Subjekt <strong>der</strong> Weltrevolution sein sollte. In Russland waren<br />

es 1917 die Soldaten, die zu revoltieren begannen; die Revolution wurde von einer Avantgarde<br />

im Parteigebilde organisiert und hauptsächlich von Bauern getragen. Man schickte sich<br />

an, das feudal-aristokratische Zarentum zu überwinden, indem man die bürgerliche Gesellschaft<br />

zu überspringen trachtete. 52<br />

49 Der Begriff wird von dem britischen Historiker Perry An<strong>der</strong>son geprägt. – Vgl. Perry An<strong>der</strong>son: Consi<strong>der</strong>ations<br />

on Western Marxism, London 1976 (dt. Übersetzung: Über den westlichen Marxismus, Frankfurt am Main 1978).<br />

50 Vgl. Michael Buckmiller: Die »Marxistische Arbeitswoche« 1923 und die Gründung des »Instituts für Sozialforschung«,<br />

in: Willem van Reijen, Gunzelin Schmid Noerr (Hg.): Grand Hotel Abgrund, Hamburg 1988, S. 141-182.<br />

51 Die Aktualisierung ist freilich ein umfassendes Forschungsprojekt, das hier und in dem vorliegenden Sammelband<br />

nur angestoßen, nicht aber eingelöst werden kann.<br />

52 Vgl. Detlev Claussen: Blick zurück auf Lenin, in: <strong>der</strong>s. (Hg.): Blick zurück auf Lenin. Georg Lukács, die oktoberrevolution<br />

und Perestroika, Frankfurt am Main 1990, S. 7-41; vgl. auch Marcus Hawel: Weltgesellschaft ohne Revolution?,<br />

in: Michael Jäger (Hg.): Globalisierung, Nation, Internationalismus. orte des Wi<strong>der</strong>stands – eine linke<br />

Debatte, Berlin 2002, S. 77-97.<br />

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