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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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und Tun« meiner selbst auf dem Markt gehandelt wird. Bin am Ende gar ich selbst ein<br />

Stück Kapitalismus, ohne es zu merken? Immerhin reproduziere auch ich tagtäglich sein<br />

Funktionieren. Wer hat sich da gegen mich verschworen? Ich fühle mich wie Neo in <strong>der</strong><br />

Matrix-Verfilmung: Dort erklärt Morpheus dem verwirrten Neo:<br />

»Ich will dir sagen, wieso du hier bist. Du bist hier, weil du etwas weißt. Etwas, das du<br />

nicht erklären kannst. Aber du fühlst es. Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass<br />

mit <strong>der</strong> Welt etwas nicht stimmt. Du weißt nicht was, aber es ist da. Wie ein Splitter in<br />

deinem Kopf, <strong>der</strong> dich verrückt macht. Dieses Gefühl hat dich zu mir geführt.«<br />

Als Neo in <strong>der</strong> realen Welt erwacht, stellt er fest, dass bis auf wenige Überlebende und<br />

Befreite alle an<strong>der</strong>en Menschen an ein hochkomplexes Computerprogramm angeschlossen<br />

sind, das als »Matrix« bezeichnet wird und <strong>der</strong>en Geist kontrolliert. Während sie in <strong>der</strong><br />

virtuellen Welt nichtsahnend ihr Leben verbringen, werden sie von den Maschinen in <strong>der</strong><br />

realen Welt gefangen gehalten und als Energiequelle ausgebeutet. – Wer hat sich hinter<br />

meinem Rücken verschworen? Wo ist <strong>der</strong> Ausgang, <strong>der</strong> Fluchtweg?<br />

An<strong>der</strong>s als Morpheus würde Marx aus dem off sprechen: Kapitalismus ist kein Spuk, keine<br />

Sinnestäuschung, keine Verschwörung. Es gibt keine reale Welt hinter <strong>der</strong> virtuellen. Im Kapitalismus<br />

erscheinen uns die Verhältnisse als das, was sie tatsächlich sind, als »gesellschaftliche<br />

Verhältnisse <strong>der</strong> Sachen«, bzw. als »sachliche Verhältnisse <strong>der</strong> Personen«. 38 Ihre Verrücktheit<br />

ist real. Ihre Verkehrung ist keine Verschwörung. Es geht Marx gerade nicht, wie<br />

Hartmut Böhme schreibt‚ um das »Herunterreißen <strong>der</strong> Maske, in <strong>der</strong>en Schutz <strong>der</strong> Dämon<br />

agiert, um die Entzauberung <strong>der</strong> Fetische, um die Enthüllung <strong>der</strong> Idole, die offenlegung des<br />

Aberglaubens, die Enttarnung totemistischer Kulte«. 39 Son<strong>der</strong>n darum, die ebenso fetischisierte<br />

wie reale strukturelle Wirkmacht, <strong>der</strong> die Einzelnen sich jeden Tag, wenn auch meist<br />

nicht aus freien Stücken, von Neuem unterordnen – mithin diese Wirkmacht als von Menschenhand<br />

gemacht zu begreifen. Es geht darum zu verstehen, dass diese Wirkmacht zugleich<br />

Götzendienst und rationales Verhalten, Erscheinung und materielle Gewalt ist. Mithilfe <strong>der</strong><br />

gedanklichen Durchdringung <strong>der</strong> ver-rückten Verhältnisse lässt sich die Frage beantworten,<br />

auf welcher Grundlage, unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen und mit welchen<br />

Zielen die nach dem ganz An<strong>der</strong>en sich sehnenden Menschen die Freiheit des »schönen Lebens«<br />

40 aneignen wollen:<br />

»Vorbei, vorbei…«, säuselt Peter Licht das Ende des Kapitalismus herbei. »Ich tausch<br />

nicht mehr, ich will mein Leben zurück«, for<strong>der</strong>t die Band »Wir Sind Helden«. Zugleich<br />

umgibt mich das tagtägliche ideologische Rauschen, es turnen die Partisanen im Gebälk<br />

meiner Gedanken. Ich will raus hier. Doch manchmal ziehe ich das falsche Leben vor,<br />

38 Ebenda, S. 87.<br />

39 Hartmut Böhme: Das Fetischismus-Konzept von Marx und sein Kontext, in: Volker Gerhardt (Hg.): Marxismus.<br />

Versuch einer Bilanz, Magdeburg 2001, S. 289 ff.<br />

40 »Her mit dem schönen Leben!« war das Motto einer gemeinsamen Kampagne <strong>der</strong> Jugendverbände <strong>der</strong> DGB-Gewerkschaften<br />

und attac im Jahr 2002. – Vgl. www.hmdsl.de (28.6.2011).<br />

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