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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Gerechtigkeit mit <strong>der</strong> Höhe einer ausgezahlten Lohnsumme o<strong>der</strong> einer bestimmten verausgabten<br />

»Leistung« in Beziehung zu setzen. Auf diese Weise wird Lohnarbeit unter kapitalistischen<br />

Bedingungen mit Arbeit an sich in eins gesetzt. Analog verwächst das hergestellte<br />

Produkt mit seiner Hülle, <strong>der</strong> Warenform. Diese Verdinglichung sichtbar zu machen, konkret:<br />

den Produkten ihre Warenhülle abzustreifen, den stofflichen Reichtum von seiner Zwangsjacke<br />

<strong>der</strong> Verwertung zu befreien und das Rätsel des Geldes zu entschlüsseln, ist das zentrale<br />

Anliegen <strong>der</strong> Marxschen Kritik des Kapitalismus.<br />

Kritik <strong>der</strong> Naturalisierung<br />

Das Pendant zur Verdinglichung ist die Naturalisierung. Diese wurzelt in <strong>der</strong> Vorstellung, dass<br />

die Dinge, wie sie im Kapitalismus erscheinen, Ding an sich sind, das heißt ursprünglich und<br />

natürlich bestimmte Qualitäten aufweisen: Ebenso wie die Tomate rot, fleischig und rund ist,<br />

scheint sie auch an sich Wert haben zu müssen, weil die Dinge schließlich irgendeinen Wert<br />

besitzen müssen und schon immer besessen haben. Wo die Verdinglichung den Charakter<br />

menschlicher Beziehungen an den Eigenschaften von sinnlich wahrnehmbaren Sachen festmacht,<br />

legitimiert die Naturalisierung diese Verdinglichung als natürlich. Während die Verdinglichung<br />

eine sachliche Grundlage hat – die stofflichen Dinge sind tatsächlich Träger von<br />

gesellschaftlichen Verhältnissen –, entspringt die Naturalisierung einer falschen Vorstellung:<br />

Die Warenform <strong>der</strong> Produkte ist we<strong>der</strong> natürlich noch überhistorisch. Die Verdinglichung wurzelt<br />

darin, dass den Marktteilnehmern die »gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten<br />

als das [erscheinen], was sie sind«, 17 während die Naturalisierung diese Beziehungen zu einer<br />

anthropologischen Konstanten mystifiziert: Ähnlich <strong>der</strong> Schwerkraft, die angeblich dafür sorgt,<br />

dass die Aktienkurse ins Bodenlose stürzen, scheinen Firmenschließungen, Börsencrash o<strong>der</strong><br />

Inflation über die Menschheit wie ein Tsunami hereinzubrechen. Das gesellschaftliche Verhältnis<br />

scheint »physischer Natur« 18 zu sein. Folgerichtig kommt in den täglichen Abendnachrichten<br />

gleich nach dem Börsenticker das Wetter: zuerst die Nachrichten über die finanziellen,<br />

danach über die klimatischen Wirbelstürme. Wenn sich die auf Lohnarbeit Angewiesenen fragen,<br />

wie es um die Möglichkeiten bestellt ist, ihre Produkte erfolgreich zu verhökern, das<br />

heißt sich als Ich-AG durchzuschlagen o<strong>der</strong> ihre eigene Haut zu Markte zu tragen, also einen<br />

Job zu finden, dann fragen sie nicht nach dem »gesellschaftlichen Charakter <strong>der</strong> Privatarbeiten«<br />

19 , mithin auf welche Weise sie miteinan<strong>der</strong> in Beziehung treten. Vielmehr interessiert<br />

man sich für das Wohlergehen »<strong>der</strong> Wirtschaft«, ob es ihr gut geht, wie ihre Leistung aussieht<br />

o<strong>der</strong> ob sie gerade in einer Flaute steckt. So als sei »die Wirtschaft« ein natürliches Geschehen<br />

analog zu freundlichem Wetter und angenehmem Klima. 20<br />

17 Marx: Das Kapital. Erster Band, S. 87 (kursive Hervorhebung durch AS).<br />

18 Ebenda, S. 86.<br />

19 Ebenda, S. 87.<br />

20 Ein sinnfälliges Beispiel für die Naturalisierung ökonomischer Verhältnisse liefert ein didaktisch aufbereitetes<br />

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