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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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lustriert assoziativ die ökonomische <strong>Krise</strong> – eine Schwarzweiß-Fotografie zeigt eine trostlose<br />

Industrielandschaft, rauchende Fabrikschlote, Kraftwerke, ein einziges Grau-in-Grau. Im<br />

Vor<strong>der</strong>grund eine kleine Brachfläche, auf die, als farbfotografisches Element in auffälligen<br />

orangetönen gehalten, platziert sind: ein Liegestuhl auf einem Teppich, ein mo<strong>der</strong>ner Tisch,<br />

ein Sonnenschirm, zudem eine Flasche, ein Trinkglas – Cola-Rum? –, ein Kofferradio. Im<br />

Liegestuhl ruht ein Mann in Badehose, mit Sonnenbrille; er genießt offenbar das gute Wetter,<br />

sonnt sich.<br />

Die Covergestaltung scheint die Haltung <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne zu antizipieren, die zynischnihilistische<br />

Gleichgültigkeit, mit <strong>der</strong> etwa ein paar Jahre später Jean Baudrillard proklamierte,<br />

<strong>der</strong> beginnenden Katastrophe begegnen zu wollen: im Liegestuhl sich den Untergang<br />

ansehen, dabei ein Gläschen Champagner, und den Terror fröhlich passieren lassen. Dass die<br />

plakative Überdeutlichkeit des Motivs vermutlich wenig mit <strong>der</strong> authentischen Position <strong>der</strong><br />

»Supertramp«-Musiker zu tun haben wird, son<strong>der</strong>n einfach nur den politisch interessierten<br />

Rock-Konsumenten adressiert, verweist auf die Warenästhetik <strong>der</strong> fortgeschrittenen Popkultur,<br />

mit <strong>der</strong> sich eine <strong>Krise</strong> ankündigt, in <strong>der</strong>en Verlauf die Mo<strong>der</strong>ne selbst auf ihr Ende zusteuert:<br />

Die <strong>Krise</strong> ist eben nur noch Imagination und Phantasmagorie – ihre metaphorische<br />

Inszenierung im Film, im Bild, in <strong>der</strong> Verpackung <strong>der</strong> Ware und schließlich überhaupt in <strong>der</strong><br />

Werbung macht die scheinbare Kritik, die man allein schon im Benennen <strong>der</strong> <strong>Krise</strong> und <strong>der</strong><br />

vorgeblich für sie Verantwortlichen zu üben meint, zum affirmativen Bekenntnis zur bestehenden<br />

Gesellschaft. Schon die »Weltwirtschaftskrise« von 1929 wurde nicht als Systemkrise<br />

wahrgenommen, son<strong>der</strong>n sachlich auf die Börsenkurse reduziert und durch die »Sinnkrise«<br />

ideologisch überboten; auch das »Ende des goldenen Zeitalters«, 66 das sich in den 1970er<br />

Jahren mit <strong>der</strong> Ölkrise drastisch ankündigt, wird als realsystemische Fundamentalkrise durch<br />

das Spektakel diverser kultureller <strong>Krise</strong>nimaginationen bzw. <strong>Krise</strong>nphantasmagorien konterkariert.<br />

Gleichwohl werden in diese <strong>Krise</strong>ninszenierungen durchaus die Realgeschichte und ihre<br />

ideologischen Spiegelungen hineingezogen: Anfang <strong>der</strong> 1970er sind es noch <strong>der</strong> Vietnamkrieg,<br />

die Diktaturen in Südamerika, Asien und Afrika, <strong>der</strong> Beginn <strong>der</strong> Ökologiebewegung<br />

und <strong>der</strong> Reaktorunfall in Harrisburg 1979, <strong>der</strong> NATo-Doppelbeschluss und die Friedensbewegung,<br />

zudem: die kulturelle Explosion des Pop durch Punk und Disco, die Informationsgesellschaft<br />

und die Postmo<strong>der</strong>ne, 67 schließlich die Gouvernementalität und die Kontrollgesellschaften.<br />

68<br />

66 Damit bezeichnet Eric Hobsbawm die 1950er und 1960er Jahre; ab 1973 beginnen im Zeitalter <strong>der</strong> Extreme, dem<br />

»kurzen zwanzigsten Jahrhun<strong>der</strong>t«, die <strong>Krise</strong>njahrzehnte.<br />

67 Vgl. Daniel Bell: The Coming of Post Industrial Society: A Venture in Social Forecasting (1973); Jean-François<br />

Lyotard: La Condition postmo<strong>der</strong>ne (1979).<br />

68 Im Rahmen seiner Machtanalyse beschäftigt sich Michel Foucault ab Mitte <strong>der</strong> 1970er Jahre mit <strong>der</strong> Frage nach<br />

<strong>der</strong> Regierung und Regierbarkeit. In einer Vorlesung im Studienjahr 1977/78 verwendet er erstmals den Begriff<br />

<strong>der</strong> Gouvernementalität; das ist insofern interessant, als zur selben Zeit die Konservativen – Reagan, Thatcher,<br />

später auch Kohl – ihre Politik erfolgreich auf den neoliberalen Slogan gegen soziale Gleichmacherei fokussieren,<br />

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