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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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weil es auch bequem ist, zuweilen auch reizvoll und schön. Das Leben im Falschen hat<br />

jedenfalls enormes Beharrungsvermögen. Das Richtige lässt auf sich warten. Wo sind die<br />

an<strong>der</strong>en? Wer macht mit? Ich will, dass das Begehren nach einer befreiten Gesellschaft<br />

mehr ist als eine ästhetische Haltung o<strong>der</strong> eine theoretische Trockenübung. Doch ohne<br />

gedankliche Anstrengung und kommunikative Auseinan<strong>der</strong>setzung darüber, was wir überwinden<br />

wollen, werden wir die Kontrolle über unser Leben nicht zurückgewinnen. Die<br />

bewusste und gemeinsame Tat, auf dieser Grundlage dann eine neue Grammatik des ganz<br />

An<strong>der</strong>en auszubuchstabieren, sind die ersten Schritte gegen die herrschende Vereinnahmung<br />

des Glücks.<br />

Mit Marx lassen sich die Waffen <strong>der</strong> Kritik schärfen, 41 das eigene Urteilsvermögen stärken<br />

und Lernprozesse anregen. Diese Darlegungen des Marxschen Kritikverständnisses, in <strong>der</strong>en<br />

Kontext diese dem Alltagsverstand entnommenen Gedanken stehen, mögen Anreize zur Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

liefern und die eigene Kritik präzisieren: Dies bleibt ein wi<strong>der</strong>sprüchliches<br />

Unterfangen, insofern das kritische Denken den Fetisch, <strong>der</strong> den Verhältnissen anhaftet, nicht<br />

abschütteln kann, solange diese Verhältnisse so ver-rückt und ver-kehrt bleiben. Diese zu überwinden,<br />

erfor<strong>der</strong>t mehr als gedankliche Durchdringung und kritische Analyse. Dies sind zwar<br />

notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen für gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungsprozesse<br />

und schon gar nicht für die Bewältigung teilweise wi<strong>der</strong>sprüchlicher Anfor<strong>der</strong>ungen beson<strong>der</strong>s<br />

in den Momenten einer <strong>Krise</strong>. 42 Dass das Kapital den Betroffenen nicht dabei hilft,<br />

mit einer drohenden Zwangsversteigerung ihres Hauses o<strong>der</strong> mit Konkurrenz am Arbeitsplatz<br />

fertig zu werden o<strong>der</strong> mit antisemitischer Hetze umzugehen, ist evident. Aufmerksame Lektüre<br />

und Auseinan<strong>der</strong>setzung damit, wie die Kritik an den Verhältnissen auf den Begriff zu bringen<br />

ist, sind dennoch erste Momente einer Praxis: Sofern die Beschäftigung mit dem Marxschen<br />

Verständnis von Kritik mit dem Anspruch geschieht, besser zu verstehen, was man kritisiert<br />

und warum man es kritisiert, ist sie auch eine Form <strong>der</strong> individuellen und kollektiven Selbstermächtigung.<br />

43 Wenngleich die Aneignung des theoretischen Werks praktisch werdende Kritik<br />

und gesellschaftliche Handlungsfähigkeit nicht ersetzen kann, lohnt sich <strong>der</strong> tiefere Blick in<br />

die blauen Bände allemal – auch noch 145 Jahre nach <strong>der</strong> Erstauflage des »Kapital« (1867).<br />

Eine kritische <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Krise</strong>, die sich über <strong>der</strong>en strukturelle Bedingungen und geschichtlichen<br />

Voraussetzungen zu informieren beansprucht, ist notwendig auf die Kritik <strong>der</strong> politischen<br />

Ökonomie angewiesen.<br />

41 »Die Waffe <strong>der</strong> Kritik kann allerdings die Kritik <strong>der</strong> Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muss gestürzt<br />

werden durch materielle Gewalt, allein auch die <strong>Theorie</strong> wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.«<br />

– Karl Marx: Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: MEW, Bd. 1, S. 385.<br />

42 ob spätestens seit Ende 2008 <strong>der</strong> Kapitalismus als Gesellschaftssystem in <strong>der</strong> <strong>Krise</strong> sei, o<strong>der</strong> nicht eher die unter<br />

kapitalistischen Bedingungen lebenden Menschen, ist Gegenstand vielfältiger Diskussionen.<br />

43 Mehr zu den Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Aneignung des Marxschen Werkes vgl. Anne Steckner: Von Chemielaboren,<br />

Zoomobjektiven und Affenanatomie: Die Hürden <strong>der</strong> Aneignung und Vermittlung des Kapital, in: Michael Heinrich,<br />

Werner Bonefeld (Hg.): Kapital und Kritik, Hamburg 2011.<br />

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