Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Analytisch kann die Bestimmung dieses Verhältnisses in zwei Anfängen versucht werden:<br />
einmal im Ausgang vom Individuum als einem Einzelnen; hier kann von einem leibnizianischen<br />
Produktionsmodell gesprochen werden. offensichtlich ist dies <strong>der</strong> Anfang, <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />
<strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong> gewählt wird. 20 Zum an<strong>der</strong>en kann die Gesellschaft als Allgemeines als<br />
Anfang genommen werden; dann handelt es sich um ein spinozistisches Produktionsmodell. 21<br />
Dieses Produktionsmodell liegt seit Althusser den meisten französischen Konzeptualisierungen<br />
zugrunde.<br />
Wie verschieden diese beiden unterschiedlichen Anfänge zunächst wahrgenommen und<br />
diskutiert worden sind, zeigt zum einen die Kritik Alfred Lorenzers an Lucien Seves Versuch<br />
zu Marxismus und <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> Persönlichkeit; 22 zum an<strong>der</strong>en die heftige und zum Teil aneinan<strong>der</strong><br />
vorbeigehende Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Jacques Lacan. Aber auch innerhalb <strong>der</strong><br />
<strong>Kritische</strong>n <strong>Theorie</strong> selbst könnte <strong>der</strong> Bruch zwischen Fromm einerseits und an<strong>der</strong>en <strong>Kritische</strong>n<br />
Theoretikern (insbeson<strong>der</strong>e Marcuse) genau damit zusammenhängen, dass Fromm<br />
immer wie<strong>der</strong> auf Spinoza zurückgreift.<br />
Doch welcher Anfang auch immer gemacht wird: In jedem Fall muss das Individuum als<br />
Beson<strong>der</strong>es, als Vermittlung von Einzelnem und Allgemeinem begriffen werden können. Um<br />
die zwischen Einzelnem und Allgemeinem vermittelnde Instanz untersuchen und bestimmen<br />
zu können, schlug Fromm, zunächst noch in Übereinstimmung mit den an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>n<br />
des Instituts, den Ausdruck »Charakter« als vermittelnde Mitte vor. Von Seiten des Individuums<br />
gesehen ist es <strong>der</strong> sich selbst bildende Charakter dieses Individuums (reflexiver Gehalt des mit<br />
Charakter Bezeichneten). Von Seiten <strong>der</strong> Gesellschaft ist es <strong>der</strong> zu bildende o<strong>der</strong> dann <strong>der</strong> gebildete<br />
Charakter des Individuums als einem typischen Exemplar einer gesellschaftlichen<br />
Schicht, Klasse o<strong>der</strong> Berufsgruppe (transitiver Gehalt des mit Charakter Bezeichneten). Und<br />
je nachdem, wie <strong>der</strong> reflexive und transitive Gehalt im Prozess <strong>der</strong> Charakterbildung zueinan<strong>der</strong><br />
gewichtet sind, ist es Fromm möglich, gelingende Verläufe <strong>der</strong> Charakterbildung von misslingenden<br />
und pathologischen zu unterscheiden. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund <strong>der</strong> Totalitarismen<br />
war es evident zu vermuten, dass die Charakterbildungsprozesse durch das Gebildetwerden<br />
des Charakters zu bestimmten, dem Individuum vorgegebenen funktionalen<br />
herrschaftssichernden Zwecken dominiert werden. Diesen, die Individualität, aber nicht die<br />
Einzelheit negierenden Charaktertypus nennt Fromm den autoritären Charakter (<strong>der</strong> dann selbst<br />
noch in Untertypen differenziert wird). Die Individualität wird in dieser Charakterbildung<br />
insofern negiert, als bezweckt wird, den Einzelnen als bloßes Typenexemplar, als beliebig austauschbares,<br />
weil mit jedem an<strong>der</strong>en Einzelnen homogenisiertes token eines type herauszubilden:<br />
Der Einzelne kann so kein beson<strong>der</strong>es, weil sich beson<strong>der</strong>ndes Individuum werden, son<strong>der</strong>n<br />
bloß Repräsentant eines Allgemeinen, Erfüllung einer Funktion.<br />
20 Vgl. Fre<strong>der</strong>ic Jameson: Spätmarxismus. Adorno o<strong>der</strong> die Beharrlichkeit <strong>der</strong> Dialektik, Hamburg 1992.<br />
21 Vgl. Pierre-François Moreau: Spinoza. Versuch über die Anstößigkeit seines Denkens, Frankfurt am Main 1994.<br />
22 Vgl. Alfred Lorenzer: Zur Dialektik von Individuum und Gesellschaft, in: Thomas Leithäuser, Walter R. Heinz<br />
(Hg.): Produktion, Arbeit, Sozialisation, Frankfurt am Main 1976, S. 13-47; Alfred Lorenzer: Sprachspiel und Interaktionsform,<br />
Frankfurt am Main 1977, S. 162-217.<br />
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