Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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schaften gefährdeten. o<strong>der</strong> von »raffgierigen Bossen« und »unfähigen Managern«, die<br />
sich auf Kosten <strong>der</strong> Allgemeinheit bereicherten und das eigentliche Übel einer ansonsten intakten<br />
Marktwirtschaft darstellten. Die Trennung von produktivem »guten« gegenüber dem<br />
spekulativen »bösen« Kapital fand weite Verbreitung. Diese beiden einan<strong>der</strong> bedingenden<br />
Aspekte kapitalistischen Wirtschaftens (Kredit und Investition) stellten sich als völlig getrennte<br />
Sphären dar, in denen Aktien- und Zinskurse ein launisches Eigenleben zu führen<br />
scheinen. Zugleich zielten die verschiedenen Erklärungen (»Die Chinesen sind schuld«, »Die<br />
Rating-Agenturen haben Mist gebaut«, »Die Steueroasen und Finanzinnovationen sind das<br />
Problem«, »Der Staat hat versagt« usw.) auf bestimmte Personengruppen o<strong>der</strong> Erscheinungsformen<br />
von Kapitalismus ab und machten sie zum Sündenbock für die krisenhaften Verhältnisse.<br />
Kritik im Marxschen Sinne zielt aber we<strong>der</strong> auf das moralische Fehlverhalten einzelner<br />
Akteure noch auf beson<strong>der</strong>s wilde und entfesselte Formen des Kapitalismus. Marx interessierte<br />
sich für die sozialen (Herrschafts-)Beziehungen zwischen den Menschen, den Formen<br />
ihrer Vergesellschaftung im tagtäglichen kapitalistischen Normalbetrieb, dessen innere Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
sich immer wie<strong>der</strong> in kleineren o<strong>der</strong> größeren <strong>Krise</strong>n entladen. 6 Eine Marxlektüre<br />
schult gleichsam den Röntgenblick für gesellschaftliche Strukturen.<br />
Eine Prämisse <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Marx lautet häufig: Die Kritik einer Gesellschaft<br />
setzt das Verständnis ihrer grundlegenden Prinzipien voraus. Die Latte <strong>der</strong> Erkenntnis<br />
liegt hoch, geht es doch um Gesellschaft als Ganze, we<strong>der</strong> um einen ihrer Bereiche (Wirtschaft,<br />
Politik, Kultur o<strong>der</strong> Staat) noch um eine wissenschaftliche Disziplin (Volkswirtschaftslehre,<br />
Soziologie, Philosophie etc.) und auch nicht um einen beson<strong>der</strong>en gesellschaftlichen<br />
Akteur (Arbeiterklasse o<strong>der</strong> Finanzinvestoren). Darf nur kritisieren, wer ein elaboriertes Gesamtverständnis<br />
vom Kapitalismus nachweisen kann? Ist Kritik das Sahnehäubchen <strong>der</strong> Erkenntnis,<br />
kurz bevor <strong>der</strong> Mensch von <strong>der</strong> Altersweisheit in die Altersstarre verfällt? Marx<br />
ging es allerdings insofern um eine spezifische Artikulation von Erkenntnis, Darstellung und<br />
Kritik, als er zugleich auf zweierlei hinauswollte: »Darstellung des Systems und durch die<br />
Darstellung Kritik desselben« 7 – gleichsam aus dem Prozess des Begreifens heraus die Bedingungen<br />
und den Gegenstand von Kritik zu gewinnen. Durch Analyse eines Sachverhalts<br />
wird dessen Kritik in dem Sinne betrieben, »in dem die Analyse nicht nur instrumentelle Vorbedingung<br />
für Kritik, son<strong>der</strong>n Bestandteil des kritischen Prozesses selbst ist«. 8 Diese Artikulation<br />
von Erkenntnis und Kritik lässt sich mit dem Satz auf den Punkt bringen: Die Kritik<br />
<strong>der</strong> politischen Ökonomie ist so gut, weil sie so gut erklärt, was sie kritisiert.<br />
6 »Periodisch macht sich <strong>der</strong> Konflikt <strong>der</strong> wi<strong>der</strong>streitenden Agentien in <strong>Krise</strong>n Luft. Die <strong>Krise</strong>n sind immer nur momentane<br />
gewaltsame Lösungen <strong>der</strong> vorhandnen Wi<strong>der</strong>sprüche, gewaltsame Eruptionen, die das gestörte Gleichgewicht<br />
für den Augenblick wie<strong>der</strong>herstellen.« – Karl Marx: Das Kapital. Dritter Band, in: MEW, Bd. 25, S. 259.<br />
7 Karl Marx an Ferdinand Lassalle, 22. Februar 1858, in: MEW, Bd. 29, S. 550.<br />
8 Vgl. Jaeggi: Was ist Ideologiekritik?, S. 270.<br />
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