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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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formen zu erklären und in <strong>der</strong> Erklärung zu kritisieren. Diese Gedankenformen, anhand <strong>der</strong>er<br />

die Wissenschaft über die von ihr betrachtete Gesellschaft Rechenschaft ablegt und sich zugleich<br />

über sich selbst verständigt, sind für Marx kein auf die Wissenschaft beschränktes<br />

Phänomen. Sie wurzeln vielmehr in verbreiteten Alltagsvorstellungen, denen auch die Wissenschaft<br />

verhaftet sei – nicht aus Unlauterkeit, Dummheit o<strong>der</strong> Nachlässigkeit, son<strong>der</strong>n notwendigerweise.<br />

Kritik verdinglichter Alltagsvorstellungen<br />

Die Marxsche Analyse zeigt auf, wie die verkehrten Verhältnisse im Kapitalismus gerade die<br />

wi<strong>der</strong>sprüchliche ordnung ausmachen – zum Beispiel, dass Menschen ihre sozialen Beziehungen<br />

gezwungenermaßen über die Dinge (Waren) herstellen o<strong>der</strong> dass unverkaufte Ladenhüter<br />

im kapitalistischen Sinne kein Reichtum sind, son<strong>der</strong>n zu unnützem Müll werden . Indem Marx<br />

ihre Funktionslogik entschlüsselt, kann er erklären, inwiefern die ver-rückten Vorstellungen<br />

<strong>der</strong> Menschen über diese ordnung nicht einfach falsch o<strong>der</strong> gelogen sind, son<strong>der</strong>n den gegebenen<br />

gesellschaftlichen Verhältnissen notwendigerweise entspringen, weil ihnen eine objektiv<br />

vorhandene soziale Realität zugrundeliegt. Diese Realität bestätigt sich im alltäglichen Handeln,<br />

in den vorgegebenen Strukturen, in denen die Akteure sich bewegen müssen, beispielsweise in<br />

<strong>der</strong> Gewalt, mit <strong>der</strong> die Verfügung über Geld das tägliche (Über)Leben bestimmt (»Geld regiert<br />

die Welt«). o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Notwendigkeit, mit <strong>der</strong> über Kauf und Verkauf von Waren im Allgemeinen<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> eigenen Arbeitskraft im Beson<strong>der</strong>en miteinan<strong>der</strong> in Beziehung getreten wird<br />

(»Konkurrenz entspricht <strong>der</strong> menschlichen Natur«). o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Rationalität, mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Stärkere,<br />

Klügere, Lustigere belohnt und <strong>der</strong> Faulere, Langsamere, weniger Kreative bestraft wird<br />

(»Leistung muss sich lohnen«). Wir erfahren, dass die Maxime des nutzenmaximierenden, die<br />

Ellenbogen ausfahrenden Individuums (»Der Mensch ist des Menschen Wolf«) im Alltag, in<br />

den Fabriken, in <strong>der</strong> Schule o<strong>der</strong> im Büro durchaus Plausibilität besitzt, weil ihm reale Erfahrungen<br />

zugrundeliegen und Gesellschaft an vielen Stellen tatsächlich so funktioniert: konkurrenzförmig.<br />

Diese Logik scheint eine in Stein gemeißelte zu sein, an den sinnlich wahrnehmbaren<br />

Dingen wie Geld, Zäunen, Militär o<strong>der</strong> Arbeit haftend.<br />

Produzierte Dinge und Dienstleistungen werden als Waren zu Markte getragen: Die gesellschaftliche<br />

Arbeitsteilung vermittelt sich über den Tausch. Erst <strong>der</strong> erfolgreiche Tausch<br />

macht uns zu anerkannten Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gesellschaft. Die Produkte <strong>der</strong> privat verausgabten<br />

Arbeit, seien es Hustensaft, Hummerbrötchen o<strong>der</strong> Handyklingeltöne, werden nicht in erster<br />

Linie hergestellt, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, son<strong>der</strong>n um einen Wert zu realisieren,<br />

das heißt um auf dem Markt abgesetzt zu werden. Sie treten in <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Ware<br />

auf. Das »Geheimnisvolle <strong>der</strong> Warenform« 14 besteht darin, dass sie nicht zufällig den Eindruck<br />

erweckt, es läge in <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Dinge, Wertcharakter zu besitzen und »wertvoll« zu sein.<br />

14 Ebenda, S. 86.<br />

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