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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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eproduzieren konnte, dass die Formen, in denen die Wi<strong>der</strong>sprüche des Kapitals prozessieren,<br />

jene Einheit <strong>der</strong> äußeren Gegensätze nicht mehr gewährleisten konnten, so dass »sich die<br />

Einheit gewaltsam geltend« 28 macht. Damit stellt sich gesellschaftliche Synthesis nicht mehr<br />

über die »normalen ökonomischen Prozesse, son<strong>der</strong>n durch die versteckte und wi<strong>der</strong>rufliche<br />

Zuwendung, wenn nicht durch allseitige Aufrüstung« 29 her. Aus dieser Perspektive lassen<br />

sich einige grundlegende Bestimmungen des Verhältnisses von <strong>Krise</strong>, Nationalsozialismus<br />

und Antisemitismus vornehmen.<br />

In den Diskussionen um die <strong>Krise</strong> und den Staatskapitalismus im exilierten Institut für<br />

Sozialforschung ist es im Anschluss an Marx unstrittig, dass die <strong>Krise</strong> »<strong>der</strong> kapitalistischen<br />

Produktionsweise inhärent« und dagegen das »relative Funktionieren dieser Produktionsweise«<br />

zu erklären sei. 30 Im Speziellen geht es um die Frage, ob, wie Friedrich Pollock behauptet,<br />

<strong>der</strong> Nationalsozialismus eine krisenfreie Formation sei, in <strong>der</strong> das Gesetz des tendenziellen<br />

Falls <strong>der</strong> Profitrate nicht mehr gelte: »Der totalitäre Staatskapitalismus bringt die<br />

Lösung <strong>der</strong> wirtschaftlichen Probleme – um den Preis <strong>der</strong> totalitären Knechtung.« 31 Hieraus<br />

folgert Pollock, dass das Primat <strong>der</strong> Ökonomie vom Primat <strong>der</strong> Politik abgelöst worden sei,<br />

was sich in <strong>der</strong> Entwicklung einer neuen Wirtschaftsordnung ausdrücke, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Markt<br />

durch den Befehl ersetzt wurde. 32 Pollocks Annahme hatte nun entscheidenden Einfluss auf<br />

das Theorem vom Verschwinden <strong>der</strong> Zirkulationssphäre in <strong>der</strong> »Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung«<br />

und Horkheimers Aufsatz zum Autoritären Staat. Dies kann leicht – auch mit Hilfe Adornos<br />

und Horkheimers – interpretiert werden als die Errichtung einer gelenkten Ökonomie, in <strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Markt sowie das Konkurrenz- und Profitmotiv abgedankt und sich auf den reinen Willen<br />

zur Macht verschoben haben. 33 Die Verabsolutierung dieses Gedankens führt allerdings dahin,<br />

28 »Daß die selbständig einan<strong>der</strong> gegenübertretenden Prozesse eine innere Einheit bilden, heißt ebensosehr, daß ihre<br />

innere Einheit sich in äußeren Gegensätzen bewegt. Geht die äußerliche Verselbständigung <strong>der</strong> innerlich Unselbständigen,<br />

weil einan<strong>der</strong> ergänzenden, bis zu einem gewissen Punkt fort, so macht sich die Einheit gewaltsam geltend<br />

durch eine – <strong>Krise</strong>. Der <strong>der</strong> Ware immanente Gegensatz von Gebrauchswert und Wert, von Privatarbeit, die<br />

sich zugleich als unmittelbar gesellschaftliche Arbeit darstellen muss, von beson<strong>der</strong>er konkreter Arbeit, die zugleich<br />

nur als abstrakt allgemeine Arbeit gilt, von Personifizierung <strong>der</strong> Sache und Versachlichung <strong>der</strong> Personen dieser immanente<br />

Wi<strong>der</strong>spruch erhält in den Gegensätzen <strong>der</strong> Warenmetamorphose seine entwickelten Bewegungsformen.<br />

Diese Formen schließen daher die Möglichkeit, aber auch nur die Möglichkeit <strong>der</strong> <strong>Krise</strong>n ein. Die Entwicklung<br />

dieser Möglichkeit zur Wirklichkeit erfor<strong>der</strong>t einen ganzen Umkreis von Verhältnissen, die vom Standpunkt <strong>der</strong><br />

einfachen Warenzirkulation noch gar nicht existieren.« – Karl Marx: Das Kapital. Erster Band, in: MEW, Bd. 23,<br />

S. 127 f.<br />

29 Theodor W. Adorno: Aberglaube aus zweiter Hand, in: <strong>der</strong>s.: GS, Bd. 8, Frankfurt am Main 1962, S.147-176; S. 172.<br />

30 Erich Fromm, Julian Gumperz, Max Horkheimer, Herbert Marcuse, Franz L. Neumann und Friedrich Pollock: Die<br />

Marxsche Methode und ihre Anwendbarkeit auf die Analyse <strong>der</strong> gegenwärtigen <strong>Krise</strong>. Seminardiskussionen, in:<br />

Max Horkheimer: GS, Bd. 12, Frankfurt am Main 1985, S. 398-416; S. 412.<br />

31 Friedrich Pollock: Staatskapitalismus, in: Helmut Dubiel, Alfons Söllner (Hg.): Wirtschaft, Recht und Staat im<br />

Nationalsozialismus. Analysen des Instituts für Sozialforschung 1939-1942, Frankfurt am Main 1984, S. 81-110;<br />

S. 106.<br />

32 Friedrich Pollock: Ist <strong>der</strong> Nationalsozialismus eine neue ordnung?, S. 111-128; S. 118.<br />

33 Allerdings war sich Adorno in dieser Frage selbst nicht sicher. Im Briefwechsel um das Staatskapitalismus-Heft<br />

<strong>der</strong> Zeitschrift für Sozialforschung schreibt er: »Sachlich halte ich für das zentrale Problem <strong>der</strong> Arbeit die Frage,<br />

ob die herausgearbeitete Tendenz einer krisenlos von oben gelenkten Wirtschaft wirklich die objektive Tendenz<br />

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