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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Bücher des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts – dies jedoch auf Umwegen: Horkheimer und Adorno bezeichneten<br />

ihren Basistext kritischer <strong>Theorie</strong> als »Flaschenpost«, 107 <strong>der</strong>en Bedeutung erst in (ferner)<br />

Zukunft erkannt werden möge, wenn die Flasche von einer an<strong>der</strong>en Generation gefunden,<br />

entkorkt und die Botschaft entziffert wird. – Als dies 20 Jahre nach Erscheinen des<br />

Buches durch die studentische Rebellion <strong>der</strong> späten 1960er Jahre tatsächlich <strong>der</strong> Fall war,<br />

zeigten sich die beiden Autoren allerdings überrascht. 108 In <strong>der</strong> »Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung«<br />

formulierten sie eine radikale Vernunftkritik und diagnostizierten ein grundlegendes Versagen<br />

<strong>der</strong> Aufklärung in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne, dessen Ursprung in <strong>der</strong> Verstrickung mit »instrumenteller<br />

Vernunft« von Anbeginn angelegt gewesen sei.<br />

Im Jahr 1946 erschien von Horkheimer das Hauptwerk »Zur Kritik <strong>der</strong> instrumentellen<br />

Vernunft«. 109 Es enthält noch einmal die Kernthese <strong>der</strong> »Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung«: Die Vernunft<br />

ist instrumentell geworden; sie steht nicht im Dienste <strong>der</strong> Menschheit, son<strong>der</strong>n hat sich<br />

als Werkzeug <strong>der</strong> Herrschaft angedient, um die Natur des Menschen zu unterdrücken. Die<br />

Kulmination <strong>der</strong> Barbarei, die die Geschichte in die Katastrophe führt und sich als Verhängnis<br />

herausstellt, lässt die <strong>Theorie</strong> negativ werden. Die Wendung zum Negativen, gleichsam die<br />

dritte Korrektur im Geschichtsbegriff, wird von Adorno endgültig in seiner »Negativen Dialektik«<br />

unternommen.<br />

Auslöser ist die Erfahrung von Auschwitz. Wenn bei ihm in Anlehnung an den »Engel<br />

<strong>der</strong> Geschichte«, den Walter Benjamin aus einem Bild von Paul Klee allegorisch herausgelesen<br />

hat, 110 von Geschichte als Verhängnis die Rede ist (»Von <strong>der</strong> Steinschleu<strong>der</strong> zur Megabombe«<br />

111 ), verliert sich Adorno keineswegs in einem dem Politischen abgewandten Pessimismus.<br />

107 Siehe Wolfgang Kraushaar (Hg.): Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von <strong>der</strong> Flaschenpost zum Molotowcocktail,<br />

Bd. 1, Hamburg 1998. – Den kausalen Zusammenhang, den Kraushaar zwischen <strong>Theorie</strong> und Praxis,<br />

das heißt zwischen Flaschenpost und Molotowcocktail sieht, ist allerdings zurückzuweisen.<br />

108 In den 1960er Jahren will Horkheimer nicht mehr viel von seinen Schriften aus den 1930er und 40er Jahren wissen.<br />

Im Grunde hatte er inzwischen mit dem Kapitalismus seinen Frieden geschlossen. – Siehe sein Interview<br />

in: Der Spiegel vom 6. Januar 1970. – Erst die rebellierende studentische 68er-Generation, die Raubdrucke seiner<br />

Schriften anfertigen ließ, bewegte ihn dazu, einer ordentlichen Wie<strong>der</strong>auflage zuzustimmen. Er versah seine<br />

Schriften mit relativierenden Kommentaren, weil er offenbar den Zeitkern ihrer Wahrheit als verblichen angesehen<br />

hat.<br />

109 Max Horkheimer: Zur Kritik <strong>der</strong> instrumentellen Vernunft (1946), Frankfurt am Main 1985.<br />

110 Vgl. Walter Benjamin: Über den Begriff <strong>der</strong> Geschichte, These IX; zur Interpretation des Bildes im Sinne Benjamins<br />

geschichtsphilosophischer Ästhetik siehe Tatjana Freytag: Hoffnung im Erinnern – Die gebrochene Utopie<br />

des »Angelus Novus«, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Bd. XXXIV (2006): Geschichte und bildende<br />

Kunst, Göttingen 2006, S. 70-74; siehe auch Marcus Hawel: Fluchtspuren <strong>der</strong> Geschichte. Verhängnis,<br />

Fluch und Erlösung. Anmerkungen zu Walter Benjamins Geschichtsphilosophie anlässlich seines 70. Todesjahres,<br />

in: sopos 11/2010, www.sopos.org [tinyurl.com/437urbj], 29.07.2011.<br />

111 »Universalgeschichte ist zu konstruieren und zu leugnen. Die Behauptung eines in <strong>der</strong> Geschichte sich manifestierenden<br />

und sie zusammenfassenden Weltplans zum Besseren wäre nach den Katastrophen und im Angesicht<br />

<strong>der</strong> künftigen zynisch. Nicht aber ist darum die Einheit zu verleugnen, welche die diskontinuierlichen, chaotisch<br />

zersplitterten Momente und Phasen <strong>der</strong> Geschichte zusammenschweißt, die von Naturbeherrschung, fortschreitend<br />

in die Herrschaft über Menschen und schließlich die über inwendige Natur. Keine Universalgeschichte führt vom<br />

Wilden zur Humanität, sehr wohl aber eine von <strong>der</strong> Steinschleu<strong>der</strong> zur Megabombe.« – Adorno: Negative Dialektik,<br />

S. 314.<br />

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