Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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samtarbeiter in den versteinerten Produktionsverhältnissen. In <strong>der</strong> Interaktion reproduziert<br />
und perpetuiert sie somit die »verwaltete Welt«.<br />
Zentral ist hier die Feststellung, dass die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit innerer Natur ein Moment<br />
<strong>der</strong> Wechselwirkung ist, die, eingebettet in die gesellschaftlichen Prozesse, vom ›produktiven‹<br />
Kampf des Menschen gegen die äußere Natur ihre Prägung erhält. »Das Individuum<br />
ist <strong>der</strong> Schauplatz, in dem die großen dialektischen Bewegungen ihre Mitte haben.« 60<br />
Als »Schaltstelle <strong>der</strong> Sozialisation« sieht Lorenzer folglich den frühkindlichen Interaktionskreis,<br />
<strong>der</strong> seinerseits abhängig ist von jenem umfassenden Interaktionskreis, <strong>der</strong> identisch ist<br />
mit <strong>der</strong> organisation von Arbeit, die als organisation von Herrschaft zugleich – und das heißt<br />
als Produktionsverhältnis – die Gesamtheit gelten<strong>der</strong> Interaktionsformen repräsentiert. Aus<br />
den Wi<strong>der</strong>sprüchen <strong>der</strong> Produktionsverhältnisse heraus reproduziert sich Sozialisation als<br />
Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit <strong>der</strong> Interaktionsformen.<br />
Das Innere und das Äußere<br />
Zum Begriff <strong>der</strong> »zweiten inneren Natur«<br />
Jene, bestimmten Verwertungsinteressen entsprechend geformte, innere Natur nennt später<br />
auch Horn die »zweite innere Natur«. Wie Lorenzer greift er damit eine Metapher Freuds<br />
auf. Dieser grenzt das Unbewusste als »inneres Ausland« ab und unterscheidet es so von <strong>der</strong><br />
uns umgebenden Natur als »äußeres Ausland« 61 . Hiervon ausgehend, können die Grundlagen<br />
für eine »kritische <strong>Theorie</strong> des Subjekts« entwickelt werden.<br />
Dazu sei eine sozialwissenschaftliche Aneignung <strong>der</strong> Erkenntnisse Freuds nötig. Denn<br />
Freuds ahistorische, weil biologisch-anthropologisch konzipierten Bestimmungen <strong>der</strong> Gattung<br />
Mensch lassen sich sozialwissenschaftlich aufgeklärt so rekonstruieren, dass mit ihnen<br />
die gesellschaftliche Formung <strong>der</strong> Subjekte bis in ihr Innerstes aufgezeigt werden kann. War<br />
früher die gewaltförmige Beherrschung <strong>der</strong> äußeren Natur im Fokus des Herrschaftsinteresses,<br />
so hat sich mit und seit <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong> bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft dieses<br />
Interesse zunehmend auf die Beherrschung <strong>der</strong> inneren Natur und <strong>der</strong> dafür benötigten Mittel<br />
verschoben. Den durch Herrschaftsinteressen erzeugten Verblendungszusammenhängen,<br />
denen die einzelnen Individuen in <strong>der</strong> jeweiligen Gesellschaft ausgesetzt sind, fügte Freud<br />
noch eine weitere Dimension hinzu: Die Verblendungen, welche bei <strong>der</strong> individuellen Aneignung<br />
<strong>der</strong> »eigenen Natur« und meist als Folge von Verdrängungen entstehen. Damit versuchten<br />
die Individuen, die so in ihnen selbst stattfindenden Brechungen und Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
in <strong>der</strong> Formierung ihrer inneren Natur zu schlichten, indem sie sich selbst psychisch verstümmelten.<br />
60 Ebenda, S. 80.<br />
61 Sigmund Freud: Neue Folge <strong>der</strong> Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: <strong>der</strong>s.: Studienausgabe,<br />
Bd. 1, Frankfurt am Main 1969, 447-608; S. 496.<br />
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