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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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ten Generation von Ökonomen im Realsozialismus prägte, 73 wird die <strong>Krise</strong> dann unter dem<br />

Gesichtspunkt ihrer wi<strong>der</strong>spruchslösenden Funktion schlichtweg nicht behandelt. Sie wird nicht<br />

geleugnet, son<strong>der</strong>n einfach umgangen. Eugen Varga war in den Debatten um <strong>der</strong>artige Positionierungen<br />

Gegenstand harter Kritik (»Varga-Diskussion« 1947/ 1948) 74 . Er hielt demgegenüber<br />

einen zyklischen Aufschwung Mitte <strong>der</strong> 1940er Jahre durchaus für wahrscheinlich, zog es dann<br />

aber vor, ein Buch umzuschreiben, um aus puren existentiellen Gründen mit dieser schon damals<br />

sichtbar falschen Konzeption nicht zu kollidieren. 75 Jedenfalls war diese Konzeption sicher<br />

einer <strong>der</strong> Faktoren, <strong>der</strong> die bolschewistisch-kommunistische Strömung in entscheidenden Punkten<br />

weitgehend bündnisunfähig machte und letztlich auch isolierte.<br />

Für den hier hervorgehobenen Zusammenhang von <strong>Krise</strong> und Kritik ist folgende Frage<br />

von Interesse: Marx leistete in seinen Ausarbeitungen eine Kritik <strong>der</strong> politischen Ökonomie<br />

– und entwickelt in diesem Zusammenhang seine krisentheoretischen Auffassungen, die er<br />

mit einer Gesellschaftskritik verband. Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts entstand die Notwendigkeit,<br />

in <strong>der</strong> damals in erster Linie sozialdemokratischen Bewegung eine eigenständige Kritik <strong>der</strong><br />

aktuellen Gesellschaft zu entwickeln und ausgehend von Marx auch die <strong>Theorie</strong> voranzubringen.<br />

Das schloss die Notwendigkeit einer kritischen Aneignung des Marxschen Erbes<br />

ein. Der Versuch, ein Stück – insbeson<strong>der</strong>e die Reproduktionsschemata – herauszubrechen,<br />

erwies sich jedoch als Irrweg. Damit wurden vielfältige Wi<strong>der</strong>sprüche, die nach Marx mit<br />

dem Ausbruch von <strong>Krise</strong>n zusammenhängen können, aus den Betrachtungen ausgeschlossen.<br />

In <strong>der</strong> Folge wurde die sich marxistisch definierende <strong>Krise</strong>nkonzeption statisch. Ähnlich verhielt<br />

es sich mit <strong>der</strong> Debatte über die Wirkung von Konzentrations- und Zentralisationsprozessen,<br />

mithin über die Entstehung von Kartellen und Großunternehmen in <strong>der</strong> Industrie und<br />

im Bankwesen, auf den Verlauf <strong>der</strong> <strong>Krise</strong>. Auch hier wurde eine Tendenz <strong>der</strong> Entwicklung<br />

des Kapitalismus betrachtet, nicht aber die Entwicklung in ihrer Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit. Diese<br />

Einseitigkeiten führten in den kommunistischen wie in <strong>der</strong> sozialdemokratischen Richtung<br />

zu unterschiedlichen Ausprägungen von Dogmatismus und Ideologisierung.<br />

Die mit den Konjunkturanalysen von Varga angelegte Schaffung einer durch Daten basierten<br />

dynamischen <strong>Krise</strong>nauffassung konnte erst Anfang <strong>der</strong> 1950er Jahre in <strong>der</strong> bolschewistisch-kommunistischen<br />

Strömung wie<strong>der</strong> an Boden gewinnen. Dies nicht zuletzt deshalb,<br />

weil eine realistische Beurteilung <strong>der</strong> Konjunktur- und <strong>Krise</strong>nverläufe sowie die sich in ihnen<br />

manifestierenden Wi<strong>der</strong>sprüche für die entstehenden realsozialistischen Staaten von existentieller<br />

Bedeutung waren.<br />

73 In deutscher Sprache: Politische Ökonomie. Lehrbuch, Berlin 1959.<br />

74 Vgl. dazu: Diskussion über das Buch von Eugen Varga: Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> kapitalistischen Wirtschaft im Gefolge<br />

des zweiten Weltkrieges, in: 1. Beiheft zur [Zeitschrift] Sowjetwissenschaft, Berlin 1947/1948.<br />

75 Vgl. Eugen Varga: Grundfragen <strong>der</strong> Ökonomik und Politik des Imperialismus, Moskau 1953 (in dt. Übersetzung:<br />

Berlin 1955). Nach Zeugnis seines Schülers und gelegentlichen wissenschaftlichen Kontrahenten Jürgen Kuczynski<br />

bezeichnete Eugen Varga dieses Werk selbst als sein »dickstes und dümmstes Buch«. Vgl. Jürgen Kuczynski: Studien<br />

zu einer Geschichte <strong>der</strong> Gesellschaftswissenschaften, Band 7: Gesellschaftswissenschaftliche Schulen, Berlin<br />

1977, S. 28<br />

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