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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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enfetisch sich uns darstellt, als führten die Waren hinter unserem Rücken ein mysteriöses<br />

Eigenleben, das wir nicht unter Kontrolle haben. Dass es nahe liegend ist, für diese verrückten<br />

und gewaltvollen Verhältnisse bestimmte Akteure verantwortlich zu machen, die sich gerade<br />

im Sinne <strong>der</strong> erwünschten Profitmaximierung verhalten – »Akkumuliert, akkumuliert! Das<br />

ist Moses und die Propheten« 37 – , offenbart die Blümsche Beschwerde recht »unverblümt«.<br />

Die Bezeichnung »ankerlos vagabundierendes Finanzkapital« unterstellt, Finanz- und<br />

Produktionssphäre hätten im Kapitalismus nichts o<strong>der</strong> nur entfernt miteinan<strong>der</strong> zu tun. Während<br />

Investitionen in produktive Sphären als substanzielles, bodenständiges, nationales Wirtschaften<br />

vorgestellt werden, gilt die Spekulation an den Börsen als entfremdetes, unbeherrschtes,<br />

heimatloses Unterfangen. Nur konsequent ist dann die For<strong>der</strong>ung nach einem<br />

»Rückweg zu den Substanzwerten«, die das Bild einer harmonischen Marktwirtschaft beschwört.<br />

Diese wird als Produktionssphäre mit handfester Wertschöpfung gedacht: Banken<br />

in <strong>der</strong> Rolle des Geburtshelfers für »reale« Investitionen. Die Marxschen Ausführungen beson<strong>der</strong>s<br />

im Dritten Band des »Kapital« zeigen, inwiefern jede Investition in die sogenannte<br />

reale Wirtschaft schon eine Spekulation auf künftige Gewinne, auf unsichere Absatzchancen<br />

auf anonymen Märkten und zudem beson<strong>der</strong>s auf die flexible Verfügbarkeit von Krediten<br />

angewiesen ist.<br />

Eng verbunden mit <strong>der</strong> Auffassung vagabundieren<strong>der</strong> Finanzströme ist die Vorstellung<br />

von »Marketing und Gehirnwäsche« all <strong>der</strong>jenigen, die nicht die Fäden in <strong>der</strong> Hand halten,<br />

als gäbe es Akteure, die mit <strong>der</strong> gezielten Bearbeitung <strong>der</strong> Volkshirne beauftragt sind. Die<br />

herrschenden Ideologien sind aber nicht den geheimen Plänen einer herrschsüchtigen Clique<br />

geschuldet, son<strong>der</strong>n sind falsch, obwohl sie auch eine objektive Realität besitzen. Sie entspringen<br />

den gesellschaftlichen Verhältnissen; wie sie das tun, erklärt Marx in <strong>der</strong> Analyse<br />

des Fetischcharakters <strong>der</strong> Ware: Die gesellschaftlichen Verhältnisse begegnen uns zwar in<br />

dinglicher o<strong>der</strong> personalisierter Gestalt, jedoch lassen sich die den Dingen o<strong>der</strong> Einzelpersonen<br />

zugrundeliegenden Strukturen und Beziehungen nicht einfach wie ein Gegenstand<br />

festhalten. Sie entziehen sich dem Bedürfnis nach sinnlich wahrnehmbaren »Knotenpunkten«,<br />

nach den »Schuldigen« <strong>der</strong> Misere. Ein letztes Mal kommt das Alltagsbewusstsein zu<br />

Wort:<br />

Manchmal möchte ich dem Kapitalismus persönlich gegenübertreten und ihn anbrüllen:<br />

Hau endlich ab! Ich möchte an<strong>der</strong>s leben, arbeiten, lieben, denken, mich einbringen. Aber<br />

das geht nicht: Ich kann auf diese Weise dem Kapitalismus nicht habhaft werden. Er ist<br />

so wenig sinnlich greifbar wie die gesellschaftlichen Verhältnisse, die von seinen Prinzipien<br />

und Strukturen durchdrungen sind. Aber zugleich bestimmt er mein Leben, regelt<br />

die Relationen, zu denen mein persönlicher Kurs »unabhängig vom Willen, Vorwissen<br />

eben weil ihr Tun gerade krisenför<strong>der</strong>nd wirken kann. Im medialen Getöse stellt sich das oft so dar: Wenn eine<br />

Bank o<strong>der</strong> ein Fond baden gehen, dann waren rückblickend raffgierige Manager am Werk. Fahren sie indes satte<br />

Gewinne ein, gelten sie als beson<strong>der</strong>s clever.<br />

37 Marx: Das Kapital. Erster Band, S. 621.<br />

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