Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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und allgemein <strong>der</strong> Bildungsinstitutionen in <strong>der</strong> Spannung von Bildung und Erziehung. Kritikfähigkeit<br />
und damit verbunden die Möglichkeit <strong>der</strong> Ausbildung eines <strong>Krise</strong>nbewusstseins<br />
von Handelnden ist mithin offenkundig verknüpft mit Prozessen <strong>der</strong> Sozialisation sowie<br />
<strong>der</strong> Schulkarriere und -bildung, dem Verhältnis von Bildung und Erziehung in den Sozialisationsprozessen<br />
und beson<strong>der</strong>s innerhalb <strong>der</strong> Bildungsinstitutionen sowie <strong>der</strong> Dominante<br />
in dem Verhältnis von Bildung und Erziehung: Übergreift Erziehung sich selbst und ihr Gegenteil,<br />
die Bildung, o<strong>der</strong> negiert sie sogar Bildung, dann för<strong>der</strong>t dies zum einen die Entstehung<br />
autoritärer Charaktere (Fromm) o<strong>der</strong> zum an<strong>der</strong>en die Entstehung »scholastischer<br />
Vernunft« (Bourdieu). Übergreift dagegen Bildung sich selbst und ihr Gegenteil, die Erziehung,<br />
dann ist damit die Möglichkeit emanzipatorischer Vernunft o<strong>der</strong> emanzipatorischen<br />
Vernunftgebrauchs gegeben.<br />
Zum Begriff des autoritären Charakters<br />
Das Institut für Sozialforschung untersuchte also zunächst, Ende <strong>der</strong> 1920er, Anfang <strong>der</strong><br />
1930er Jahre, jene Bewusstseinsformen, die den Faschismus ermöglicht und mitgetragen<br />
haben. Zentral war, so Fromm, »die Frage danach, in welchem Ausmaß die jeweiligen politischen<br />
Meinungen mit <strong>der</strong> Gesamtpersönlichkeit übereinstimmen«. 27 Zur Beantwortung<br />
nutzten die Autoren sowohl die Erkenntnisse des historischen Materialismus als auch die <strong>der</strong><br />
Freudschen Psychoanalyse.<br />
»Ein Begriff des Charakters, welcher von den Verschiedenheiten <strong>der</strong> geschichtlichen Rolle<br />
jener Kollektivitäten keine Notiz nimmt und die Charaktere <strong>der</strong> sich mit ihnen identifizierenden<br />
Menschen deshalb zusammenwirft, weil alle die Kollektivität, in <strong>der</strong> sie aufgewachsen<br />
sind, bejahen, wäre ebenso leer wie ein Pazifismus, welcher einen Kolonialkrieg und den<br />
Aufstand in einem Zuchthaus gleichermaßen als Gewalt verdammte. – Die Art, in <strong>der</strong> materialistische<br />
Geschichtstheorie und Psychologie einan<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Darstellung geschichtlichen<br />
Lebens notwendig haben, ist freilich nicht die gleiche. Eine materialistische Geschichtsschreibung<br />
ohne genügende Psychologie ist mangelhaft. Psychologische Geschichtsschreibung<br />
ist verkehrt.« 28<br />
In <strong>der</strong> Auswertung <strong>der</strong> Studie unterschied Fromm bestimmte Charaktertypen. Vor allem<br />
einen selbständigen Charakter und einen autoritären Charakter. Letzteren unterteilte er wie<strong>der</strong>um<br />
in zwei Untergruppen: den konservativ-autoritären und den rebellisch-autoritären<br />
Typus. 29 Insbeson<strong>der</strong>e letzterer sei prädestiniert für freiwillige Unterordnung unter politische<br />
Ideologien, gleich ob von links o<strong>der</strong> von rechts. Diesen Charaktertypus sah er als Basis etwa<br />
für das Überlaufen ehemaliger KPD-Mitglie<strong>der</strong> zur NSDAP. »[D]afür, ob einer dazu neigt,<br />
27 Fromm: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches, S. 53.<br />
28 Horkheimer: Dämmerung, S. 368.<br />
29 Vgl. Fromm: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches, S. 248.<br />
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