Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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SPD 1931 unter an<strong>der</strong>em aktive Konjunkturpolitik, Arbeitsbeschaffung und den Ausbau<br />
öffentlicher Wirtschaft als vorrangige Ziele <strong>der</strong> SPD sowie <strong>der</strong> Gewerkschaften. Sozialleistungen<br />
betrachtete er als »Stück verwirklichten Sozialismus«. 58 Ähnlich wie Hilferding und<br />
an<strong>der</strong>e sieht Naphtali Ende <strong>der</strong> 1920er Jahre eine <strong>der</strong> monopolistischen Wirtschaft innewohnende<br />
Tendenz zur Wirtschaftsdemokratie, die Planmäßigkeit und die Verhin<strong>der</strong>ung von <strong>Krise</strong>n<br />
möglich machen würde.<br />
Mit den <strong>Krise</strong>n <strong>der</strong> 1970er Jahre und den Verän<strong>der</strong>ungen in den gesellschaftlichen Machtstrukturen<br />
verlieren diese Vorstellungen immer mehr an Gewicht, was sich 1982 in den<br />
Machtantritten Margaret Thatchers, Ronald Reagans und Helmut Kohls manifestierte.<br />
Die Vorstellungen vom a priori effizienten Markt, seiner Selbstregulierungsfähigkeit und<br />
damit eines immanenten Gleichgewichtes prägten wie<strong>der</strong> zunehmend das Denken. Die tendenzielle<br />
Nachdenklichkeit <strong>der</strong> keynesianischen Ära wurde abgelegt; es setzt sich wie<strong>der</strong> die<br />
Vorstellung eines bestenfalls über Geldpolitik zu regulierenden, an und für sich krisenlosen<br />
Kapitalismus durch.<br />
Allerdings kam bereits 1972 mit dem Bericht des Club of Rome eine neue Komponente<br />
ins Gespräch. Die Aussagen zu den Grenzen des Wachstums auf den bisherigen Grundlagen<br />
und den bisherigen Wegen fanden jedoch kaum eine Entsprechung im Verständnis <strong>der</strong> Wirtschaftskrisen.<br />
Die <strong>Krise</strong>nprozesse wurden nicht o<strong>der</strong> kaum in ihrem Zusammenhang gesehen.<br />
We<strong>der</strong> die keynesianische noch die immer mehr dominierende neoliberale bzw. neoklassische<br />
Volkswirtschaftslehre konnten dies leisten.<br />
Die Finanzkrise mit <strong>der</strong> folgenden Wirtschaftskrise ab 2007 war mit einer tiefen Verunsicherung<br />
<strong>der</strong> bürgerlichen ökonomischen Wissenschaft verbunden. Bereits in den Vorjahren<br />
war die herrschende akademische Strömung durch die Entstehung <strong>der</strong> postautistischen, heterodoxen<br />
Richtung unter Druck geraten. Dabei werden in den Diskussionen vor allem die<br />
Wege <strong>der</strong> Forschung, nicht ihre Grundlagen infrage gestellt. Die Kritik des homo oeconomicus<br />
ist eine Kritik <strong>der</strong> an ihm vermuteten völligen Rationalität, nicht seine von <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
losgelöste Subjektivität. Das subjektive Verhalten soll in seiner ganzen Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit,<br />
unter Einrechnung von Rationalität und Emotionalität gleichermaßen, in den Fokus<br />
genommen werden. Ausgehend von den neuesten Ergebnissen <strong>der</strong> Hirnforschung entdeckt<br />
man plötzlich, dass Gesellschaftlichkeit dem Menschen eigen zu sein scheint. Die <strong>Krise</strong> ist<br />
also in <strong>der</strong> biologischen Konstitution des Menschen angelegt. Nicht die Irrtümer Einzelner,<br />
die die Konzeption des homo oeconomicus als <strong>Krise</strong>nursachen bestenfalls noch zulässt, son<strong>der</strong>n<br />
die Struktur des subjektiven Handelns insgesamt sind somit das Problem. Wie man leicht<br />
sieht, verlässt diese Lesart keinesfalls die enge Basis subjektivistischen ökonomischen Denkens,<br />
wie es vor nun etwa eineinhalb Jahrhun<strong>der</strong>ten durch Carl Menger begründet wurde. 59<br />
Die <strong>Krise</strong>nursachen bleiben exogen.<br />
58 Ebenda, S 27.<br />
59 Vgl. Carl Menger: Grundsätze <strong>der</strong> Volkswirthschaftslehre. Erster, Allgemeiner Theil, Wien 1871, S. 107.<br />
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